Kommentar Ministerpräsident Horst Seehofer: Endlich zu zweit
Die Alleinherrschaft der CSU im Freistaat Bayern ist zu Ende. Die Koalition mit der FDP ist für die Christlich Soziale Union eine Chance zur Erneuerung.
E s ist kein Traumergebnis, mit dem Horst Seehofer gestern zum neuen bayerischen Ministerpräsidenten gewählt worden ist: Über 108 Stimmen verfügt die Koalition aus CSU und FDP, nur 104 Abgeordnete haben für ihn gestimmt. Die Abweichler sind mit großer Sicherheit bei der CSU zu vermuten. Ob es nun enttäuschte Franken waren, die den traurigen Abgang ihres Landsmannes Günther Beckstein nicht verwunden haben, oder solche Parteifreunde, die Horst Seehofer in besonders herzlicher Abneigung verbunden sind - das Ergebnis zeigt, dass die CSU nach ihrer Wahlniederlage noch nicht zur alten Geschlossenheit zurückgefunden hat und sich immer noch schwertut mit den Veränderungen, die aus dieser Wahlniederlage folgen.
Der neue Ministerpräsident scheint diese Anpassungsschwierigkeiten nicht zu teilen. In seiner Antrittsrede präsentierte sich Seehofer als ein am Dialog sogar mit den Grünen interessierter Landesvater. Der von ihm ausgehandelte Koalitionsvertrag mit der FDP enthält Veränderungen, die im CSU-Land bisher undenkbar schienen: Da werden polizeistaatliche Gesetze gegen das Demonstrationsrecht und die Unverletzlichkeit der Wohnung gekippt, da wird bei der Reform des Schulwesens auf Ganztagsbetreuung gesetzt. Und heiratswillige Homosexuelle dürfen sich künftig auch im Freistaat auf dem Standesamt das Jawort geben.
Solche gesellschaftspolitischen Reformen, die andernorts längst Normalität sind, darf man in Bayern als revolutionär bezeichnen. Reformen, zu welchen die CSU aus eigener Kraft niemals fähig gewesen wäre, da sie besoffen vom Glauben an die eigene Unfehlbarkeit zunehmend unfähig wurde, Reformbedarf zu erkennen oder Veränderungen durchzusetzen, weder im Freistaat noch in der Partei. Denn wo schon immer die CSU regiert hat, da muss doch alles in Ordnung sein und eine Reform völlig unnötig.
Diese Zeiten sind vorbei. Das ist gut für Bayern - und für die CSU. Denn ebenso, wie die Alleinherrschaft sie über die Jahre geschwächt hat, könnte der Zwang zur Koalition die CSU wieder stark machen.
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