Kommentar Minijobberinnen: Sackgasse Hinzuverdienst
Die Entwicklung in der Dienstleistung steht dem neuen Unterhaltsrecht entgegen und umgekehrt. Wir brauchen eine integrative Gesetzgebung, die solche Widersprüche im Auge behält.
Die Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen ist nur der neueste Beweis dafür, dass irgendetwas ziemlich falsch läuft mit den Identitätsentwürfen, die heute für Frauen verhandelt werden. Frauen geraten in widersprüchliche Strömungen der Gesetzgebung, die sie schnell doppelt zum Opfer machen. Der Einzelhandel ist dafür ein Beispiel.
Im Handel gilt die von vielen neoliberalen Verfechtern propagierte "Freiheit des Marktes", die Arbeitsstrukturen wurden zunehmend flexibilisiert. Vollzeitjobs schwinden, stattdessen gibt es mehr Teilzeittätigkeiten und Minijobs. Der Handel entwickelt sich daher zu einer Branche, in der am besten Frauen arbeiten können, die über einen Mann krankenversichert sind, also eine Hinzuverdienerrolle ausüben. Der Gesetzgeber, der die sozialversicherungsfreien Minijobs einführte - eine deutsche Besonderheit übrigens - hat dies befördert. Und die Arbeitgeber sparen damit Sozialbeiträge. Den Geschäftsführern kommt auch zupass, dass sich selbst gut ausgebildete Frauen im Handel lieber nur als Verkäuferin bezahlen lassen und keine Marktleiterposition einnehmen, weil sie auch aus familiären Gründen die damit verbundenen Überstunden scheuen.
Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Soziales im Inlandsressort der taz. Sie interessiert sich besonders für die Auswirkungen von gesellschaftlichen Entwicklungen auf Biographien und ist immer wieder überrascht darüber, wie wandelbar das Empfinden von "Gerechtigkeit" ist.
Die Flexibilisierung in der Wirtschaft führt solcherart zum Rückschritt in der Verteilung der Geschlechterrollen. Denn sie steht im Widerspruch zu den Neuerungen im Eherecht. Dieses fordert von den Frauen wirtschaftliche Eigenständigkeit, nicht nur den Hinzuverdienerpart. Zumal die Kindererziehungsphase begrenzt ist und Ehen oft nicht haltbar sind. Die Entwicklung in der Dienstleistung steht dem neuen Unterhaltsrecht entgegen und umgekehrt. Wir brauchen künftig eine integrative Gesetzgebung, die solche Widersprüche im Auge behält. Anders gesagt: Die Minijobs haben keine Zukunft.
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