Kommentar Mindestlohn FrisörInnen: Zu wenig für Kino und Sportverein

Je mehr Branchen Mindestlöhne einführen, desto schwächer klingen die Argumente der Mindestlohngegner. Dennoch ist das nicht das Ende der Diskussion.

Wenn alles gut geht, wird es in zwei, drei Jahren in Ostdeutschland keine Friseurinnen mehr geben, die für drei, vier Euro in der Stunde arbeiten. Ganz sicher ist dies wegen des komplizierten rechtlichen Verfahrensweges noch nicht. Aber der Wille ist da.

Der Sinneswandel der Branche ist kein Echo des gewandelten Zeitgeistes, wonach Niedriglöhne eher skandalisierbar sind als früher. Er entspringt auch keiner Anwandlung von Selbstlosigkeit, sondern eigenem Interesse. Es gibt im Friseurhandwerk eine Preis- und Lohnspirale nach unten, die auch die Ketten bedroht. Deshalb sollen die Löhne bis 2015 erst auf 6,50, dann auf 8,50 Euro steigen.

Ver.di feiert dies als Erfolg. Das ist verständlich. Denn schon 6,50 Euro wären im Osten eine Lohnerhöhung um ein Drittel. Fragt sich, wem dieses Ergebnis politisch nutzt. Die Gegner eines gesetzlichen Mindestlohns verbuchen diese Einigung forsch auf ihrem Konto. Für sie ist das ein Beweis, dass die Tarifautonomie funktioniert, staatliche Eingriffe Teufelszeug sind und das System zur Selbstkorrektur fähig ist. Ist also alles, wenn nicht gut, so doch auf bestem Wege?

Nein. Je mehr Branchen Mindestlöhne einführen, desto schwächer klingen die ohnehin schwindsüchtigen Argumente der Mindestlohngegner. Denn krass benachteiligt werden dabei jene, die das Pech haben, in Branchen zu jobben, die durchs Raster fallen. So wird es auch weiterhin weit mehr als 3 Millionen geben, die weniger als 7 Euro pro Stunde verdienen. Es wird weiter Hunderttausende geben, die als Taxifahrer und Kellner, in Callcentern und Hotels für einen Lohn schuften, der kaum zum Leben reicht.

Katastrophale Fehlentwicklung

Es war nicht nur, aber auch die Agenda-Politik von Kanzler Schröder, die ein Lohndumping im Niedriglohnsektor in Gang gesetzt hat. Diese katastrophale Fehlentwicklung verletzt die soziale Textur dieser Gesellschaft. Um sie zu korrigieren, braucht man keine halsstarrig geführte ordnungspolitische Grundsatzdebatte, sondern ein brauchbares Gesetz.

Und: Auch wenn es den gesetzlichen Mindestlohn gibt, ist dies nicht das Ende der Diskussion. Auch von 8,50 Euro Stundenlohn kann man sich kaum eine Kinokarte oder den Sportverein leisten. Der gesetzliche Mindestlohn ist nicht die Lösung, er ist eine Voraussetzung, um soziale Unwuchten zu beseitigen. Die linken Parteien müssen sich nicht sorgen, dass ihre Patronen im Wahlkampf nass werden. Leider nicht.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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