piwik no script img

Kommentar MilitärjustizKlima der Straflosigkeit

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Deutschland hielt sich aus gutem Grund jahrzehntelang bei Militäreinsätzen zurück. Das ist nicht mehr durchhaltbar.

W enn Rechtspolitiker sich Gedanken darüber machen, welche Staatsanwaltschaft Vorwürfe gegen Soldaten im Auslandseinsatz prüft, ist das legitim. Etwas anderes ist es, wenn Verteidigungsminister schon die Möglichkeit der Strafverfolgung von Soldaten als unzumutbar ablehnen. Hier soll offenbar ein Klima der Straflosigkeit entstehen, in dem deutsche Truppen tun und lassen können, was sie wollen.

Als sich Franz Josef Jung vor wenigen Tagen als Verteidigungsminister verabschiedete, sagte er: Deutsche Soldaten, die im Ausland tätig sind, dürften nicht mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen konfrontiert werden. Sein Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg ist geschickter: Er akzeptiert, dass die Bundesanwaltschaft die Tötung von Zivilisten beim Angriff auf einen Tanklastzug in Afghanistan untersucht - und macht zugleich deutlich, dass er kein Interesse an einer ernsthaften Prüfung hat. Trotz aller Fehler hält Guttenberg den Bombeneinsatz ohne Vorwarnung für angemessen; nicht einmal ein internes Disziplinarverfahren sei zu erwägen. Wenn aber Völkerrecht und interne Isaf-Leitlinien nur auf dem Papier stehen, weil es keine Kontrolle und bei Verstoß keine Sanktionen gibt, entsteht faktisch ein rechtsfreier Raum.

Deutschland hielt sich aus gutem Grund jahrzehntelang bei Militäreinsätzen zurück. Das ist nicht mehr durchhaltbar, weil Militärinterventionen manchmal gerade zur Durchsetzung von Menschenrechten und zur Vermeidung größerer Kriege nötig sein können. Deshalb müssen jetzt auch effiziente und angemessene Strukturen rechtsstaatlicher Kontrolle aufgebaut werden. Nur: Wenn deutsche Verteidigungsminister dies nicht akzeptieren können, dann ist Deutschland noch nicht reif für internationale Verantwortung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • HK
    H. Klingelheller

    Über eine Behauptung in Ihrem Kommentar "Klima der Straflosigkeit" habe ich mich sehr geärgert,

    und zwar, dass "Militärinterventionen ... zur Durchsetzung der Menschenrechte und zur Vermeidung

    größerer Kriege nötig sein können".

     

    Erstens erinnert dieses Denken ("...ein Krieg für den Frieden!") natürlich fatal an Orwell-Sprech.

    Menschenrechte durchsetzen indem sie und das Völkerrecht gebrochen werden? Erklären Sie mir das bitte! Oder wollen Sie hier Angriffskriege als ultima ratio und deswegen legales Mittel in der Außenpolitik darstellen?

     

    Zweitens empfinde Ihre Behauptung schlicht als überhebliche, bellizistische Propaganda, da sie komplett ohne Beleg oder Beispiel daherkommt. War der Irakkrieg nötig, weil Saddam angeblich Massenvernichtungswaffen hatte? Oder in Kuwait angeblich Babies aus den Brutkästen zerren ließ? Belegen Sie bitte solche gewagten Aussagen!

     

    Gefährlich an Ihrem Denken ist nämlich, dass umgekehrt ein Schuh draus wird, also: Nachrichtendienst X behauptet, Land Y hat Atomwaffen oder Despot Z bereitet einen Genozid vor, ergo sind wir quasi moralisch verpflichtet, dort Militär reinzuschicken.

     

    P.S.: ich sehe gerade, ich bin nicht der einzige, der sich an dem Kommentar stößt. Gut so!

  • N
    Nicolas

    Sehr geehrter Herr Rath, ich bewundere Ihr Engagement für die Menschenrechte, mit dem Sie allerdings Militärinterventionen begründen. Das halte ich für völlig verlogen. Aber unterstellen wir, dass Sie Recht haben. Wer stellt Verstöße gegen die Menschenrechte fest? Können wir uns auf Organisationen wie AI, Human Rights Watch usw. verständigen? Können wir uns auf Brennpunkte der Menschenrechtsverachtung verständigen, in Burma aber auch im Ghetto von Gaza, um zwei Regionen zu nennen? Oder denken Sie an die Todesurteile in China, über die die TAZ berichtete! Oder an die fehlenden Rechte für Frauen in Saudiarabien? Grausamkeiten überall. Sie möchten militärisch helfen? Als kürzlich ein Auspeitschungsurteil aus Saudiarabien bekannt wurde, wandte ich mich an die dortige Botschaft und fragte, ob militärische Hilfe der Bundeswehr im dortigen Engagement für die Frauenrechte in Saudiarabien benötigt wird. Es kam keine Antwort! Wir sind in Afghanistan und bombardieren Taliban-Afghanen wegen dortiger Mädchenschulen, sagte zumindest Herr Gabriel kurz vor den Bundestagswahlen. Aber wenn Frauen in Saudiarabien ausgepeitscht werden, ist leider kein einziger deutscher Soldat zur Stelle. Wie idiotisch ist das? Es ist nur ein Gequatsche von Kriegen für Menschenrechte, ein Irrsinn, eine widerwärtige Rechtfertigung von Morden. Krieg ist immer eine organisierte Barbarei der Mörder und der Verbrecher dieses Planeten. Nie wieder Krieg.

  • K
    Karl

    @ Ulrich

     

    Der CAS ist angefordert, nicht befohlen worden! Dazwischen liegen militärische Welten.

     

    Problematisch ist wohl aber die dem Einsatz zugrundeliegenden, fehlerhafte, Meldung. da wird zu klären sein ob bewußt eine Falschmeldung abgegeben wurde um di CAS-Freigabe zu erwirken oder ob die Gefechtsaufklärung wirklich so grottenschlecht war das ein falsches Lagebild zustandekam.

     

    Alles andere ist realitätsferne Pragraphenreiterei die jeden Einsatz a priori

    unmöglich macht. Dir brit. Armee hatte im Irak schon längersehr ähnliche Probleme...ein Irrenhaus!

     

    Glück auf!

     

    Karl

  • U
    Ulrich

    Was wäre denn gewesen, wenn der Angriff nicht befohlen worden wäre, und die entführten Tanklaster tatsächlich als Bomben eingestezt worden wären? Dann hätte der Befehlshaber ebenfalls ein Problem, nämlich den Vorwurf seinen Job nicht zu tun und Terroristen freie Hand zu lassen.

     

    Einen militärischen Befehlshaber, der in einem Krieg seinen Spielraum ausnutzt und einen Angriff auf mögliche Terroristen befiehlt, an den Karren fahren zu wollen, das ist schon sehr deutsch: Mach bitte Deinen Job gut, aber sichere Dich vorher IMMER richtig gut ab und befolge die Gesetze. Und wehe Du kennst die Gesetze nicht haarklein.

     

    Bullshit ...

  • A
    anke

    Dafür liebe ich die Linken, dass sie den Rechten heute jedes einzelne dämliche Postulat mit echter Begeisterung aus den gierigen Klauen reißen – um es postwendend selbst in die Welt zu posaunen. Die deutsche Zurückhaltung in Bezug auf militärische Auslandseinsätze, schreibt Christian Rath sinngemäß, sei nicht mehr durchhaltbar, weil Militärinterventionen manchmal gerade zur Durchsetzung von Menschenrechten und zur Vermeidung größerer Kriege nötig sein könnten. Könnten, wohl gemerkt. Ein bisschen Krieg, schließlich, hat es immer schon gegeben. Ein bisschen Krieg, nicht wahr, hat noch niemandem geschadet. Alternativen? Braucht kein Mensch. Jedenfalls kein linker. Die großen Philosophen des Dichter- und Denker-Volkes üben derweil in allen bekannten Wochenzeitungen das Verbal-Wrestling.

     

    Nichts Neues also von Links. Wie aber kommt Herr Rath auf die Idee, allein die Deutschen wären noch nicht reif für internationale Verantwortung? Ich meine: Wer, wenn nicht wir? Die Amis vielleicht, die unter Vorspiegelung falscher "Tatsachen" in zehn Jahren zwei Irakkriege vom Zaun gebrochen haben? Die Franzosen, die sich in Afrika und anderswo noch immer in der Rolle der Kolonialmacht wähnen? Die Russen womöglich, die ganze Schulen massakrieren auf der Jagd nach einer Hand voll Terroristen? Oder vielleicht die Italiener, die jeden illegal auftauchenden Schwarzafrikaner auch ohne Kriegserklärung umgehend zurück ins Meer treiben? Und weil wir gerade dabei sind: die Israelis gar, die Phosphor nicht von Dynamit unterscheiden können?

     

    Ich fürchte, die Menschheit als Ganzes ist verdammt unreif. Wie sonst ließe es sich erklären, dass es keiner Demokratie der Welt bisher gelungen ist, auch nur in einem einzigen Konflikt "effiziente und angemessene Strukturen rechtsstaatlicher Kontrolle" aufzubauen, mit deren Hilfe sie ihre Verteidigungsminister und deren Handlanger, genauer: die Kriegslobbyisten und deren willige politische Vollzugsgehilfen an die kurze Leine hätten legen können? Und welche Menschenrechte sollen das überhaupt sein, für die das Töten nicht nur tausender zwangsrekrutierter junger Männer, sondern auch das kollaterale Ermorden hunderttausender Kinder, Frauen und Greise unumgänglich sein soll?

     

    Einen Hoffnungsträger haben sie ihn genannt. Barak Obama würde den großen Knüppel, mit dem seine Vorgänger die Staatsfinanzen zerschlagen haben, vielleicht sehr viel lieber als er momentan zugeben darf in die dunkelste Ecke des Weißen Hauses stellen. Christian Rath mag ihn dort offenbar nicht stehen lassen. In dem Punkt, scheint es, ist er von ganzem Herzen Christdemokrat: Grundgesetzbruch mit Ansage. Das deutsche Volk hingegen mag den Big Stick der Amis mehrheitlich nicht aufgreifen. Es sieht sich lediglich außerstande, für die umgehende Ablösung eines Verteidigungsministers zu sorgen, der sich einen Dreck um Gesetz und Mehrheitsmeinung schert. Sieht aus, als wäre es tatsächlich noch nicht reif. Für die Demokratie, meine ich. Reif für die Klapsmühle ist es allemal.

  • G
    gregor

    TAZ schreibt: "Das ist nicht mehr durchhaltbar, weil Militärinterventionen manchmal gerade zur Durchsetzung von Menschenrechten und zur Vermeidung größerer Kriege nötig sein können." Nach Irak und Afghanistan immer noch nicht satt?