Kommentar Merkel: In der Schröder-Falle
Es ist ein Vorteil für Merkel, wenn sie sich im nächsten Jahr als diejenige präsentieren kann, die einer noch unseriöseren Steuersenkungspolitik widerstanden hat.
E ine Regierungsbildung in Rekordzeit, vier Wochen von der Wahl bis zur Vereidigung des Kabinetts; eine Koalition, die mal als politisches Wunschpaar galt, jetzt allerdings als Zufallsmehrheit angesehen wird; eine Wirtschaftskrise, die große Lücken in den Haushalt reißt; und der eiserne Wille der neuen Regierung, diesen Umstand zu verdrängen - vorerst.
Die Art, wie Angela Merkel ins schwarz-gelbe Regierungsbündnis stolpert, erinnert an den Fehlstart Gerhard Schröders nach seiner ersten Wiederwahl 2002. Als damals Finanzminister Hans Eichel mit miesen Haushaltszahlen die Stimmung verdarb, stoppte ihn Schröder mit dem legendären Satz: "Lass gut sein, Hans." Merkel warf Schröder daraufhin Wahlkampflügen vor, installierte einen Untersuchungsausschuss - und wurde dafür ausgelacht. Das hat sie sich gemerkt.
Anders als bei Schröder, der mit einer Wiederwahl schon nicht mehr gerechnet hatte, ist Merkels Planlosigkeit gut geplant. Trotzdem bleibt die Frage, wie weit sie damit kommen wird. Schröder musste nach einem halben Jahr einsehen, dass er mit dem Prinzip des "Lass gut sein" nicht weiterkam. Er verkündete seine Agenda 2010. Wird also auch Merkel im nächsten Frühsommer, nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, erstaunt in Finanzlöcher blicken?
Im Gegensatz zu Schröder, der Aufrufe zur Haushaltsdisziplin zur Seite wischte, hat sich Merkel dem Wunsch nach größeren Defiziten zu erwehren. Nichts anderes sind Steuersenkungen in der jetzigen Lage. Es ist kurios genug, dass den selbst ernannten Reformern von der FDP nichts anderes mehr einfällt als höhere Schulden. Aber es ist ein Vorteil für Merkel, wenn sie sich im nächsten Jahr als diejenige präsentieren kann, die einer noch unseriöseren Steuersenkungspolitik widerstanden hat. Ob das reicht, um der Schröder-Falle zu entgehen?
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