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Kommentar Merkel in IsraelDie neue Normalität

Kanzlerin Merkel hat Israel besucht - und dabei kein Wort über die Palästina-Politik des Gastgebers verloren. Dabei wäre Druck auf Israel durchaus moralisch angebracht.

Bundeskanzlerin Merkel und das halbe Kabinett haben in Israel blühende Landschaften bestaunt. Wären sie einige Kilometer weiter ins Land gefahren, so wären sie mit einer anderen Wirklichkeit konfrontiert gewesen. Ein paar Kilometer entfernt von Tel Aviv baut Israel ein ausgetüfteltes Enklavensystem, das die besetzten Gebiete zu Großraumgefängnissen macht und die Palästinenser zu chronischer Abhängigkeit von ausländischer Hilfe verdammt. Dort gibt es Straßen, die nur von Israelis benutzt werden dürfen. Und die Höhe der Strompreise werden nach ethnischen Maßgaben festgelegt. Wer glaubt, dies diene allein der Sicherheit Israels, wäre durch einen kurzen Besuch eines Besseren belehrt.

Doch Merkel entschied sich dafür, diese Realitäten nicht in Augenschein zu nehmen. Sie traf sich auch mit keinem einzigen Palästinenser. So viel Ignoranz der palästinensischen Seite gegenüber ist ungewöhnlich. Damit agiert Merkel noch einseitiger als George W. Bush, der kürzlich selbstverständlich auch Präsident Abbas besuchte.

Begründet wird dieses Verhalten mit der zu Recht aus der Schoah abzuleitenden Verantwortung Deutschlands gegenüber dem jüdischen Volk. Doch eine zentrale Lehre aus dieser Vergangenheit ist die universelle Einhaltung des Völkerrechts und die Achtung der Menschenrechte. Die Ignoranz gegenüber diesen universellen Lehren aus der deutschen Geschichte lässt Merkels Besuch in einem anderen Licht erscheinen: Handelt es sich hier um ein Geschäft, bei dem Merkel Israels aktuelle Politik nahezu unerwähnt lässt und Olmert Deutschland dafür in den Normalzustand entlässt?

Ein solcher Austausch von Persilscheinen wäre eine moralische Bankrotterklärung für die Bundesrepublik. Echte Verantwortung gegenüber Israel und der eigenen Vergangenheit wäre eine Politik, die nicht auf Kosten der Palästinenser nach Sühne trachtet, sondern Druck auf Israel ausübt, um dessen (selbst-)zerstörerische Politik zu ändern. TSAFRIR COHEN

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3 Kommentare

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  • SB
    Stephan Berlin

    60-jähriges Jubiläum, lieber Dimitrij, ist auch 60 Jahre Nakba, 60 Jahre Vertreibung der Palästinenser. Millionen Flüchtlinge leben noch heute überall auf der Welt in teilweise furchtbaren Verhältnissen - im Libanon, Syrien, auch in Berlin.

     

    Dass die im damaligen Palästina lebenden Menschen nichts vom Zionismus hielten, kann ihnen nicht vorgeworfen werden. Da kommen Leute aus Europa, die dieser rassistische Kontinent nicht haben wollte, und entziehen ihnen die Lebensgrundlage. Für die dort lebende Bevölkerung wurde lediglich angeboten, Bürger zweiter Klasse zu werden in einem explitizt jüdischen Staat. Sie sollten also vom eigenen Land, wo sie die absolute Mehrheit darstellten, verdrängt werden, wie in Nordamerika oder Australien zuvor.

     

    Die Tatsachen: Zu Anfang der Mandatszeit um 1919 waren Juden etwa 10% der Bevölkerung; die in Palästina ansäßigen Juden waren übrigens mehrheitlich GEGEN den Zionismus, also gegen die Vorstellung, es solle einen Judenstaat gebe, und gegen die Idee, Juden seien eine Nation und nicht eine Religionsgemeinschaft; auch 1948 - also direkt vor Staatsgründung - stellten die Juden lediglich ein Drittel der Bevölkerung in Palästina dar.

     

    Angeischts dieser Tatsachen sollte man schon schauen, dass man die Geschichtsschreibung beider Seiten gleichwertig wahrnimmt.

  • D
    Dimitrij

    Ich weiß nicht, ob es jemandem aufgefallen ist, aber der Anlass des Besuchs ist das 60-jährige Jubiläum Israels. Warum muss man da geradezu schon zwanghaft die Palästinenser mitreinziehen? Sie standen dem jüdischen Staat noch vor seiner Ausrufung feindlich gegenüber. Um auch Abbas zu besuchen, wird man sich halt einen passenderen Termin auswählen.

  • L
    Ludwig

    Ein guter Kommentar. Es ist alles gesagt!