Kommentar Merkel als Verliererin: Von Niederlage zu Niederlage
Merkels Kosten-Nutzen-Kalkül geht auf: Ein deutscher Sieg in Brüssel wäre teurer gewesen als diese Niederlage. Mit einem EU-Gipfel ohne Ergebnis wäre der Crash des Euro näher gerückt.
E s war ein ungewohntes Bild: Angela Merkel als Verliererin. In Brüssel musste sie klein beigeben. Der ESM darf nun ohne hartes Spardiktat Kredite an Krisenländer vergeben.
Das sah, gerade nach Merkels Schwur, ewig gegen vergemeinschaftete Schulden in der EU zu kämpfen, nicht so gut aus. Ein paar Stunden später gab es in Berlin nochmal Sperrfeuer. Schwarz-Gelb fehlte bei der Abstimmung über den ESM die eigene Mehrheit. Es gibt bei den Liberalkonservativen immer mehr, die fürchten, dass man am Ende für Spaniens Banken blechen muss.
Merkel verliert offenbar gerade an beiden Fronten. In Europa fehlt ihr die Macht, das deutsche Sparmodell wie bisher so rabiat durchzudrücken. Und an der Heimatfront in Berlin kommen ihr die Fußtruppen abhanden.
ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.
Das Dilemma: Gibt die Regierung in der EU nach, wächst der Widerstand in Berlin. Folgt sie ihren markigen Sparversprechungen, kämpft sie in Brüssel allein gegen alle. Solche Klemmen sind typisch, wenn die Macht zerrinnt. Geht diese Kanzlerschaft zu Ende?
Nein, keineswegs. Auch die scheinbare Niederlage in Brüssel ist nichts Neues. Sie passt fugenlos in Merkels Strategie – oder sagen wir: Reaktionsmuster – seit Beginn der Eurokrise.
Sie hat stets Nein gesagt und jedes Nein abgeräumt, wenn es opportun war. Erst war Schwarz-Gelb strikt gegen jede Finanzhilfe für Griechenland, dann strikt gegen jede dauerhafte Hilfe für Athen etc.
Jetzt ist die Doktrin gefallen, dass der ESM niemals EU-Gelder ohne Spardiktat fließen lassen darf. Dabei folgt Merkel einem tagespolitischen Kosten-Nutzen-Kalkül.
Ein deutscher Sieg in Brüssel über Italiens Technokratenregierung, die von den Zinslasten erdrückt wird, wäre teurer gewesen als diese Niederlage. Mit einem EU-Gipfel ohne Ergebnis wäre die Implosion des Euro wohl dramatisch näher gerückt.
Vor allem aber hat Deutschland in der EU längst gewonnen. Mit dem Fiskalpakt hat Berlin das deutsche Wirtschaftsmodell europäisiert. Den Preis zahlen weniger exportstarke Nationen, die zu einer rigiden Sparpolitik gezwungen werden.
Und auch in Berlin sieht es gut aus für Merkel. Denn faktisch regiert hier nicht mehr Schwarz-Gelb, sondern eine große Koalition aus Union, Grünen und SPD – unter ihrer Führung.
Die Liberalen dürfen manchmal quengeln. Die SPD versucht sich tapfer auszureden, dass sie 2013 wieder Juniorpartner der ewigen Kanzlerin wird. Das Sagen hat Merkel, vielleicht mehr als zuvor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe