Kommentar Mauergedenken: Jeder kann aufklären
Knapp zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer ist es Zeit für sachgerechte Informationen über die zwei Deutschlands abseits von Kommerz und Kitsch.
Der frühere Kultursenator Thomas Flierl (Linke) hat "die bisher einseitig touristisch-kommerzielle Orientierung" am früheren alliierten Grenzübergang Checkpoint Charlie als "problematisch und geschmacklos" kritisiert. Die "merkwürdigen Aktionen" von vermeintlichen amerikanischen und russischen Soldaten, die sich dort gegen Bezahlung gemeinsam vor einer Nachbildung des amerikanischen Kontrollhäuschen fotografieren lassen, seien eine Zumutung und eigentlich blasphemisch, also eine Verhöhnung. Kein Mensch könne daraus mehr erkennen, "wer hier eigentlich auf welcher Seite stand", sagte Flierl wenige Tage vor dem 47. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 1961. Flierl setzt sich für eine "dauerhafte und angemessene Gedenk- und Informationsstätte" ein, wie sie nach den Plänen der Kulturverwaltung in den künftigen Wohn- und Geschäftshäusern an der Ecke Zimmer- und Friedrichstraße eingerichtet werden soll. Außerdem forderte er Informationspavillons entlang der früheren Sektorengrenze. DPA
Als problematisch und geschmacklos hat der frühere Kultursenator Thomas Flierl die Touristenattraktionen am Checkpoint Charlie bewertet. Wo sich Studenten mit dem Tragen russischer und US-amerikanischer Uniformen ein Zubrot verdienen und Sowjetarmeemützen vor Gedenktafeln verkauft werden, ist keine angemessene und hintergründige Erinnerung möglich, moniert er. Der linke Politiker hat recht: Knapp zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer ist es Zeit für sachgerechte Informationen über die zwei Deutschlands abseits von Kommerz und Kitsch.
Zu den Aussagen Flierls passt die Kritik des DDR-regimekritischen Schriftstellers Reiner Kunze, die Diktatur werde zunehmend bagatellisiert. "Man müsste ja blind sein, wenn man keine Verharmlosung beobachten würde", sagte Kunze in einem Gespräch anlässlich seines anstehenden 75. Geburtstags. Die Vorwürfe sind nicht neu, falsch sind sie auch nicht. Wo die Erinnerung an die Realität verblasst, springt gern Nostalgie in die Bresche - und immer finden sich Geschäftsleute, die das zu kommerzialisieren wissen. Die derzeit viel diskutierte Stasikneipe in Lichtenberg ist nur ein Beispiel, wenn auch ein trauriges.
Dagegen etwas zu tun ist natürlich vorrangig Aufgabe der Politik. Der im Frühsommer vorgestellte Ausbau des Gedenkstättenkonzepts, nach dem sich die Bundesregierung stärker an Gedenkstätten beteiligen will, weist in die richtige Richtung. Aber auch jeder Einzelne ist gefragt. Im privaten Kreis genau hinzuhören und beharrlich aufzuklären leistet einen wesentlichen Beitrag zur Geschichtsbewältigung. Viele Schüler wissen nur wenig darüber, was wirklich in DDR und BRD passierte. Die Gesellschaft sollte das alarmieren - und zum Handeln ermutigen.
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