Kommentar Liu Xiaobo: Chinas Rückfall in den Stalinismus
Der Philosoph und Regimekritiker Liu Xiaobo muss für elf Jahre ins Gefängnis weil er kritische Artikel und ein Reform-Manifest geschrieben hat. Das Urteil steht für Chinas harten Kurs – und ist ein Verbrechen.
P EKING taz Elf Jahre Gefängnis für sechs Internet-Artikel und ein Reform-Manifest: Das Urteil gegen den Ehrenpräsidenten des unabhängigen Schriftstellerverbands PEN, Liu Xiaobo, ist alarmierend. Es ist die härteste Strafe der jüngsten Vergangenheit gegen einen politischen Kritiker.
Seit zwanzig Jahren hat Liu, der am Montag 54 Jahre alt wird, nichts anderes getan, als Artikel zu schreiben und die politische Entwicklung seines Landes zu analysieren. Schließlich verfasste er mit anderen kritischen Köpfen das Reformmanifest „Charta 08". Sein Engagement in der Demokratiebewegung von 1989 büßte er mit 20 Monaten Gefängnis. Später verschwand er für drei Jahre im Arbeitslager, saß häufig im Hausarrest. Er lebte stets mit der Angst, dass die Polizei ihn jeden Moment erneut verschleppen könnte – so wie sie es schließlich in der Nacht zum 9. Dezember 2008 tat.
Das Urteil folgte auf eine juristische Farce. Der Prozess wegen „Agitation zur Untergrabung der Staatsgewalt" dauerte nur wenige Stunden, die Verteidiger durften offenbar nur kurz sprechen. Liu selbst beteuerte seine Unschuld. Das alles ist höchst beunruhigend. Es sollte alle aufrütteln, die so naiv sind, den Versicherungen hoher KP-Funktionäre zu glauben, dass die Partei nichts anderes im Sinn habe, als China langsam aber sicher in einen Rechtsstaat zu verwandeln.
Wer sich die Mühe macht hinzuschauen, muss erkennen, dass derzeit vielfach genau das Gegenteil geschieht. Das immer wieder vorgebrachte Argument, China sei zu groß und zu kompliziert und könne deshalb nicht mehr Bürgerrechte verkraften, ist nichts als Augenwischerei. Die Repressionen werden nicht schwächer, wie Funktionäre zur Imagepflege im Ausland gern behaupten. Fortschritte, die in den vergangenen Jahren von chinesischen Juristen und Bürgerrechtlern mühsam erkämpft wurden, sind vielerorts bedroht oder bereits wieder rückgängig gemacht worden.
An die Spitze wichtiger Justizbehörden zum Beispiel setzte die KP wieder Parteisoldaten ohne juristische Ausbildung. Rechtsanwälte werden unter Druck gesetzt, sobald sie ihre Arbeit ernst nehmen und sich in heiklen Prozessen engagieren. Viele haben in den letzten Jahren ihre Lizenz verloren, werden verfolgt und zermürbt. Neue Vorschriften engen den Spielraum von chinesischen Journalisten ein, über Rechtsfälle zu schreiben, und es verlangt viel Mut, sich darüber hinwegzusetzen.
Gleichzeitig wird der Ton schärfer, mit der die Pekinger Regierung und eine wachsende nationalistische Mittelschicht ausländische Kritik an der chinesischen Politik als „Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten" zurückweisen. Aber Liu ist keine „innere Angelegenheit". Er hat nichts anderes getan, als sich friedlich dafür einzusetzen, dass sein Land besser und gerechter regiert wird.
Das Urteil gegen ihn ist ein Verbrechen, begangen von jenen Herren und Damen in der KP-Führung, die Macht und Karriere sichern wollen. Sie rauben Liu elf Jahre seines Lebens, weil er seine Gedanken aufgeschrieben und zur Debatte aufgerufen hat. Sie wollen an ihm ein Exempel statuieren. An diesem Rückfall in den Stalinismus lässt sich nichts schönreden.
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