piwik no script img

Kommentar Libyen nach GaddafiEnde einer Ära

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Die Ära Gaddafi ist unwiderruflich beendet, doch es ist ungewiss, wie es mit Libyen weitergeht. Dem Westen, der sich gern als "Befreier" feiern lässt, scheint das egal zu sein.

N och ist vieles im Zusammenhang mit dem Schicksal von Muammar al-Gaddafi ungeklärt. Fest steht jetzt immerhin: Seine Ära ist unwiderruflich beendet. Aber die Zukunft Libyens bleibt ungewiss. Werden sich dort die Demokraten durchsetzen oder diejenigen, die vor allem die eigenen Partikularinteressen im Blick haben? Abwarten.

Vieles spricht dafür, dass den Nato-Staaten, die den Machtwechsel herbeigeführt haben, diese Frage nicht besonders wichtig ist. Sie haben, solange es ihnen jeweils opportun erschien, sowohl Gaddafi als auch den irakischen Präsidenten Saddam Hussein als Verbündete akzeptiert und aufgerüstet. Sobald es ihnen nicht mehr opportun erschien, verwiesen sie auf die - unbestreitbar - katastrophale Menschenrechtsbilanz der beiden Staatschefs. Und verließen sich im Übrigen auf das schlechte Gedächtnis der Öffentlichkeit. Darauf können sie ja vertrauen: Diese Öffentlichkeit trägt jeden Kurswechsel mit, und sei es nur deshalb, weil sie sich für die Lage in fernen Ländern nicht ernsthaft interessiert.

Im Augenblick gelten bekanntlich auch alle, die Menschenrechtsverletzungen in China für ein Problem im Zusammenhang mit engen Wirtschaftsbeziehungen halten, als unbelehrbare Gutmenschen. Man darf davon ausgehen, dass sich die Stimmung in dem Augenblick drehen wird, in dem es nützlicher ist, auf Menschenrechtsverletzungen zu setzen als auf Wirtschaftskraft. Sehr bequem für jeweils Regierende.

Bild: taz
BETTINA GAUS

ist Autorin der taz.

Libyen ist "befreit" worden, weil der Westen unbeirrt weltweit auf der Einhaltung der Menschenrechte beharrt? Was für ein Quatsch. Nachweislich.

So interessierte er sich für die Hindernisse auf dem Weg zur Demokratisierung Ägyptens erst, als vor allem Christen betroffen zu sein schienen. Zuvor war es vielen Politikern schlicht egal, dass dort nach wie vor der Ausnahmezustand gilt, Zivilisten vor Militärgerichte gestellt werden und überhaupt das Militär weiterhin das Sagen hat. Vor dem sogenannten Arabischen Frühling hatten viele von ihnen ja ohnehin erklärt, die Araber seien wegen ihrer Kultur und Mentalität noch nicht reif für die Demokratie.

Es wird nicht lange dauern, bis westliche Politiker mit nachdenklichen Mienen dasselbe im Hinblick auf Libyen verkünden - sollte es ihnen in den Kram passen. Demokraten sind nicht gut beraten, wenn sie auf die Solidarität des Westens bauen. Das gilt weltweit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • 1
    1-Gaou

    Dieser Kommentar ist endlich mal ein Lichtblick in der TAZ, die sonst allen Militäreinsätzen "zum Schutze der Zivilisten" immer sehr wohlwollend und aufgeschlossen gegenübersteht.

     

    Auch die Berichterstattung der TAZ zum Krieg in der Cote d'Ivoire war grauenhaft, da warte ich immer noch auf einen ähnlich engagierten Kommentar, der z.B. die Frage aufwirft, warum 6 Monate nach dem Massaker von Douekoue (1000 tote Zivilisten ermordet durch Truppen des vom "Westen" und der TAZ bevorzugten angeblichen Wahlsiegers) noch kein einziger Verantwortlicher dafür angeklagt oder wenigstens benannt wurde?

  • H
    Hoga

    Mord & Totschlag sind doch lange schon westliche Exportartikel. Folter kam nun noch hinzu.

    Dazu hat man Lybien gebraucht. Bald wird Westeuropa brennen. Wetten.

  • DS
    die Stimme

    Was Bettina Gaus hier aufmacht ist endlich mal ein Lichtblick nachdem man sich hat schoen einlullen lassen von TAZ und anderer Mainstreampresse. Ein "nachweislicher Quatsch sei", der Westen habe Libyen die Menschenrechte freischiessen wollen. Die Frage bleibt noch offen, fuer wen wurde eigentlich gebombt. - Libyen, der Staat mit den groessten Oel-Reserven Afrikas, bisher fast ohne Schulden mit kostenloser medizinischer Versorgung, wird dieses Land jetzt wieder an die Banken und Energiekonzerne gehen ? Wird die NATO ihre damals von Gadaffi geschlossenen Militaerbasen zurueck bekommen ? ....

    Artikel wie dieser von Frau Gaus ist der ehemals radikalen TAZ zu wuenschen.

  • BG
    Bernd Goldammer

    @Hans Hermann Hirschelmann. Perverse Freudenschüsse als Glücksverheißung zu deuten, ist äußerst fragwürdig. Fakt ist: Die Libyer sind vom bisher höchsten afrikanischen Lebensstandard befreit worden. Von wem? Ich tippe mal auf eine internationale Privatarmee, deren Geldgeber sich mit der US- NATO zusammengetan haben. Die NATO hat gegen geltendes Völkerrecht verstoßen und die UN hat dabei zugesehen. Ich hoffe Gaddafi hat all sein Wissen sauber aufgezeichnet und bei den richtigen Leuten platziert. Die Bestientänze und die mediale Leichenfledderei lassen Schlimmes befürchten.

  • U
    uuu

    Ach, aber taz und Grüne sind nicht "der Westen"? Verstehe...

  • F
    Florentine

    @Hans-Hermann Hirschelmann: so, so. ÜBERALL zu hörende Freudenschüsse. Sie meinen, die von den Kameras gezeigten. Glauben Sie ernsthaft, die Menschen in Libyen freuen sich über ihre toten und verletzten Angehörigen und die Zerstörung ihres Landes? Propagandameldungen (taz und Co) sollte nicht Reflexion ersetzen.

  • HS
    Hari Seldon

    @hirschelmann, schattenfels: Bitte, waren Sie schon in Libyen, und hätten Sie Kontakte mit der Bevölkerung, oder Ihe "Know-How" stammt nur aus den Mainstream-Medien? In Libyen gab es direkte Demokratie, und es ist kein Zufall, dass der Übergangsrat Wahlen so spät wie möglich sehen will (der Übergangsrat hat keine breite gesellschaftliche Unterstützung). Aber dafür gibt es "Transformationslager" des Übergangsrates wie die "Umerziehungslager" des Vietkongs damals. Das Leben in Libyen unter Kadhafi: YouTube ist voll mit Videos von beiden Seiten. Aber die Videos (egal von welcher Seite) sind voll mit Luxusautos, sogar in kleinen Oasen, usw. Habe selber Krankenhaus in Libyen erlebt. Würde gern unser Kreiskrankenhaus damit auswechseln. Gesundheitswesen und Bildung waren kostenlos. Dazu gab es garantiertes Grundeinkommen (viel höher als Hartz IV). Die Frauen waren sehr emanzipiert mit normalen Rechten ausgestattet. Die meisten Rebellen stammen nicht aus Libyen. Ohne die Terrorangriffe, Waffenlieferungen, und die Spezialkräfte der NATO und anderen Staaten wären die Rebellen schon längst weg vom Fenster. Wir sollten bei den Fakten bleiben. Im ARD Spezial heute morgen aus Tripoli war die Begeisterung der Bevölkerung sehr begrenzt.

  • W
    Wrolf

    Die Kritik ist wohlfeil und auch berechtigt. Natürlich wird "der Westen" (oder Osten, Norden, Süden) Libyen unterstützen, indem er Öl kauft, und zwar egal, wer sich dort durchsetzt. Aber macht mal Vorschläge, was sind die Alternativen? Predigen? Die Libyer werden sich bedanken. Eingreifen, wie in Afghanistan? ...! (Wirtschaftshilfe braucht Libyen nur ganz kurz zu beginn.) Der Ball liegt jetzt in Libyen - "der Westen" hat da, glaube ich, recht wenig Einfluss.

  • T
    taztest

    ES GEHT UM LIBYEN, NICHT UM "DEN WESTEN"!

    Staaten des Westens haben entscheidend mitgeholfen, die Libyer vom Joch des Gaddafi-Terror-Regimes zu befreien. Dabei können den Libyern die angeblichen oder tatsächlichen westlichen Interessen, die offensichtlich das Evergreen-Thema von Frau Gaus sind, völlig egal sein. Frau Gaus, Sie sollten aufhören, billige irrelevante Popanze aufzubauen, nur um sie dann einfach wieder einwerfen zu können.

    Das Eingreifen von Frankreich, England und den USA im Jahr 2011 war für die Zukunft Libyens unbestreitbar ein Segen. Was in der Vergangenheit war, ist dabei mega-irrelevant.

    Es sei denn, man muss unbedingt seine verletzte Intellektuelle Eitelkeit pflegen.

  • K
    kai

    Wieso werden hier die NATO-Angriffe auf Gaddafis Konvoi nicht erwähnt? Weil es nicht zur Mär vom Schutz der Zivilisten passt?

  • HB
    Hellie Bu

    Wie schon beim Tod von Bin Laden fragt die taz nicht nach den Umständen, unter denen Gaddafi umkam.

    Noch bevor ich das Video sah, dachte ich sofort an eine Hinrichtung. Die Bilder bestätigen das. Zuerst lebt er noch und ist offenbar hilflos, später wird seine Leiche herumgestoßen.

    Klar ist wohl - an einer Festnahme war keiner interessiert.

    Die Medien (einschließlich der taz) verschwenden jedoch keinen Gedanken an die Umstände seines Todes. So zeigen Nato und Übergangsrat wie erst es ihnen mit der Durchsetzung der Menschenrechte in Lybien ist.

    Warscheinlich freuen sich aber wieder alle.

  • HS
    Hari Seldon

    Der Tod von 80 000 Menschen (Zehntausende Kinder, Frauen, und Zivilisten) wäre "Demokratie" und "Zivilization"? 80 000 Tote in Lybien würde fast 1 Millionen Tote in Deutschland (auf Basis der Bevölkerungszahlen) bedeuten. Wer ist zuständig für solche faschistischen Kriegsverbrechen? Gaddafi ganz sicher nicht. Nicht seine Flugzeuge haben Terrorangriffe gegen der Bevölkerung geführt, und nicht Gaddafi hat Kannonenfutter aus Ägypten, Pakistan, Tunesien, usw. importiert. Die Kriegsverbrecher sitzen in den USA und in der EU, und in Katar, Jordan, usw. Und wo sind (waren) die Menschenrechtler in Deutschland? Wann wird Deutschland auf der Reihe sein?

  • HH
    Hans-Hermann Hirschelmann

    Vielleicht sollte Frau Gaus die nun überall in Libyen zu hörenden Freudenschüsse mal zum Anlass nehmen ihre Feindbildbrille zu putzen. Ihre gebetsmühlenartig wiederholten Empörungsfloskeln gegen den bösen "Western" (?) nerven einfach nur noch.

  • S
    Schattenfels

    Regiert ein Despot ein Land, gibt es folgende Möglichkeiten für das Ausland es zu demokratisieren:

     

    1. Man fängt einen Krieg an, um ihne gewaltsam zu entfernen, siehe z.B. George W. Bush vs. Saddam Hussein.

     

    2. Man unterstützt schlagkräftige Oppositionsgruppen, die oft nicht besser sind als der Diktator selbst, z.B. Islamisten in Ägypten.

     

    3. Man setzt auf Sanktionen, die wenig bringen und oft den (materiellen) Lebensstandard der Zivilbevölkerung weiter beeinträchtigen. Dies kann den Diktator sogar noch Zustimmung bringen, wenn er das Volk gegen das Ausland einschwört.

     

    4. Man entsendet eine Spezialeinheit zur gezielten Tötung des Diktators, was danach passiert, ist äußerst ungewiss, da ein Nachfolger nachrücken kann, die restlichen Regimestrukturen bleiben erhalten.

     

    5. Man macht gar nichts oder bekundet ein wenig Empörung, die Repressalien des Diktators können u.U. noch Jahrzehnte dauern und müssen ein äußerst unmenschliches Maß annehmen, damit es zur Revolution kommt.

     

    Welches Schweinderl hätten´s denn gern, Frau Gaus?

     

    Dass "der Westen" total doof und hinterfotzig ist, hab ich ihrem Beitrag entnehmen können, aber was wäre ihr Vorschlag, wie man einem Land (von außen) zuverlässig Friede, Freude, Holzspielzeug ermöglichen könnte? Sie haben keinen? Was für eine Überraschung. Aber gut, dass man sich in jedem Szenario empören kann und einen klugen, kritischen, halbseitigen Kommentar abliefern kann. Danach geht´s einem gleich besser, ich hab´s grad selbst gemacht :)