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Kommentar KulturpolitikFragen muss erlaubt sein

Kommentar von Birgit Mandel

Werden die staatlichen Subventionen im Kulturbereich sinnvoll eingesetzt? Ein Beitrag zur Debatte um das Buch "Der Kulturinfarkt".

Spielt in der Debatte um Kulturförderung immer wieder eine Rolle: das RTL-Niveau. Bild: RTL

D as Kulturfördersystem in Deutschland sei uneffizient und ungerecht, kritisieren die Autoren des Buches „Kulturinfarkt“. Die Wellen der Empörung schlagen hoch in den Feuilletons, wie immer wird reflexartig der Untergang der Kulturnation beschworen, sobald jemand wagt, einen öffentlichen Diskurs darüber zu führen, für was, mit welchen Zielsetzungen und welchen Wirkungen eigentlich öffentliche Gelder für Kulturförderung eingesetzt werden sollen.

Unter der Prämisse der „Kunstfreiheit“, die ohne Zweifel ein hohes Gut ist, werden inhaltliche Diskussionen kulturpolitischer Leitlinien über Parteigrenzen hinweg vermieden. Diese wären jedoch notwendig, um angesichts der Schuldenkrise öffentlicher Haushalte mit dem Geld, das wir aktuell einsetzen – übrigens mehr als jeder andere Staat auf der Welt, wobei der Stadtstaat Hamburg die höchste Summe pro Kopf ausgibt und Niedersachsen bei den Schlusslichtern ist –, möglichst vielfältige kulturelle Anregungen für möglichst viele Menschen, und nicht nur für eine kleine hochgebildete Elite, zu erreichen.

Aktuell gehören gerade mal fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung zu den regelmäßigen Nutzern der öffentlich geförderten Kulturangebote. Darum muss es erlaubt sein, zu fragen, warum eigentlich eine Opernkarte mit mindestens 150 Euro subventioniert wird, während der Fan populärer Musik seine teure Eintrittskarte ohne staatlichen Zuschuss selbst bezahlen muss.

Zwei große Probleme gibt es im derzeitigen Kulturfördersystem in Deutschland. Erstens: Es liegt ihm ein normativer Kulturbegriff zugrunde, der bestimmte Kulturformen für wertvoll und förderungswürdig erklärt und andere für nicht-förderungswürdige Unterhaltung, die man dem freien Markt überlassen müsse.

Die Debatte

"Der Kulturinfarkt. Von Allem zu viel und überall das Gleiche" heißt das Buch, das sich selbst eine Polemik nennt und bereits vor seinem Erscheinen in dieser Woche für Aufregung in den Feuilletons gesorgt hat. Auf 288 Seiten nehmen die Autoren Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz Kulturpolitik und Subventionspraxis unter Beschuss:

Die Kulturpolitik befinde sich in einer selbstverschuldeten Lähmung, da sie die seit den 1970er- Jahren rasant ausgebaute kulturelle Infrastruktur trotz sinkender Haushaltsmittel erhalten wolle. Die Institutionen wiederum verhindern demnach durch ihr pures Gewicht Innovation.

"Ein Rückbau muss kommen, nicht wegen der wirtschaftlichen Krise, sondern wegen der Immobilität, in der das kulturelle System sich befindet", heißt es. Die Lösung: Die Hälfte aller Theater und Museen müssten geschlossen werden.

Zweitens wurden immer mehr so genannte Hoch-Kulturangebote in Deutschland institutionalisiert, so dass inzwischen fast die gesamten Kulturetats in den Unterhalt der öffentlich subventionierten Apparate gehen und es für neue Kulturformen neuer Generationen keine Mittel mehr gibt.

Auch die Kulturausgaben des Landes Niedersachsen sind stark an Institutionen gebunden. So werden 46 Prozent der Mittel für Theater ausgegeben, während auf die Soziokultur nur 0,3 Prozent und auf die kulturelle Bildung nur 0,6 Prozent entfallen.

Zu hinterfragen ist also, welche Institutionen welchen kulturellen Wert für die Bevölkerung bringen. So wird etwa aktuell in Frage gestellt, ob es tatsächlich notwendig ist, im Landkreis Helmstedt ein Forschungs- und Erlebniszentrum für acht – wenn auch archäologisch bedeutende – Holzspeere zu bauen. Allein der Bau wird mit 15 Millionen Euro aus Landes- und Bundesmitteln gefördert, die dauerhaften Kosten für die Unterhaltung sind noch gar nicht abzusehen, während bereits existierende Museen ihrem Auftrag zum Sammeln, Bewahren, Ausstellen und Vermitteln aufgrund ihrer Finanzausstattung kaum noch nachkommen können.

Immerhin hat das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2010 einen „Kulturbericht Niedersachsen“ erstellt, in dem sämtliche Ausgaben transparent aufgezeigt sind. Der Bericht soll die Grundlage sein für ein „beteiligungsorientiertes Kulturentwicklungsplanungskonzept“, in dessen Verlauf bis 2016 tatsächlich mit verschiedenen Kultur-Akteuren und der Bevölkerung der jeweiligen Region Zieldiskussionen geführt werden sollen, für was die öffentlichen Gelder zukünftig eingesetzt werden. Für dieses Vorhaben kann man den Initiatoren nur den Mut wünschen, auch unangenehme Entscheidungen gegen bestehende Institutionen und deren verständliche Besitzstandwahrungsinteressen durchzusetzen, wenn sich erweist, dass andere kulturelle Belange in der Bevölkerung wichtiger geworden sind.

Würden Mittel in den Kulturetats frei, könnten neue Projekte und vor allem die in Deutschland sträflich vernachlässigte kulturelle Bildung finanziert werden. Wenn Menschen schon in frühem Alter die Chance bekommen, sich differenziert und reflektiert mit Kunst und Kultur auseinanderzusetzen, wäre das die beste Basis für eine „Kulturnation Deutschland“. Damit wäre auch die derzeit geäußerte Befürchtung unnötig, durch eine Reduzierung des Angebots der so genannten Hochkultur könnte das gesamte Kulturangebot auf „RTL-Niveau“ sinken.

Bild: Universität Hildesheim
Birgit Mandel

ist Professorin für Kulturmanagement und Kulturvermittlung an der Universität Hildesheim. Sie verfasste unter anderem Studien zur Kulturnutzerforschung und gibt die Plattform www.kulturvermittlung-online.de heraus.

Die Frage der Umschichtung von Mitteln müsste sehr differenziert betrachtet werden: So gibt es im Flächenland Niedersachsen zahlreiche Kulturinstitutionen in ländlichen Räumen. Würde man etwa ein Theater in einer strukturschwachen Gegend schließen, so könnte damit möglicherweise der letzte Kulturort dort wegfallen, der zugleich auch symbolische Wirkung hat als ein öffentlicher Ort kulturellen Zusammentreffens.

Zu differenzieren wären Einrichtungen vor allem auch in Bezug auf ihr Engagement, möglichst vielfältige Bevölkerungsgruppen in ihre Arbeit zu involvieren, ihre Fähigkeit, mit unterschiedlichen Partnern zu kooperieren und ihre Bereitschaft, sich gemeinsam mit neuen Zielgruppen (interkulturell) zu verändern, ohne dabei an künstlerischer Qualität zu verlieren.

Damit wären wir schon inmitten einer Diskussion darüber, was wir von Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft wollen. Diese Debatte wird nun hoffentlich durch die etwas zugespitzte Prophezeiung eines „Kulturinfarktes“ angestoßen und auch von breiteren Bevölkerungsgruppen geführt und nicht nur von einer kleinen Kulturlobby, die Angst hat, Besitzstände zu verlieren.

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