Kommentar Künast und Berliner Grüne: Auf Künast eindreschen geht immer

Renate Künast ist die offizielle Prügelfrau der Grünen. Daran ist sie auch selbst schuld. Doch so kritikwürdig ihr Verhalten sein mag – das ihrer Gegner ist es auch.

Renate Künast scheint derzeit an allem schuld zu sein, was schief läuft bei den Grünen. Die Realos werfen ihr vor, gegenüber den Linken eingeknickt zu sein und sich bedingungslos an die SPD zu kuscheln. Die Berliner Grünen sind immer noch gefrustet von der verlorenen Hauptstadt-Wahl im vergangenen Herbst. Und auch beim Kampf um die Spitzenkandidaten wird intern über Künast gelästert – die sehe einfach nicht ein, dass sie inzwischen untragbar sei. Auf Künast Eindreschen geht immer – sie ist die offizielle Prügelfrau der Grünen. Dazu passt, dass der Berliner Landesverband sie bei Wahlen für den dortigen Parteirat erstmal durchrauschen ließ.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Künast ist daran auch selbst schuld. Eine detaillierte und selbstkritische Analayse des Desasters in der Hauptstadt hat sie bisher nicht geliefert, stattdessen flüchtet sie sich in Allgemeinplätze. Das spricht nicht gerade für sie, die gerne mit ihrem „Ich rede Tacheles“-Image kokettiert. Aber so berechtigt solche Kritik an ihr ist, vieles wirkt überzogen und selbstherrlich. Künast taugt für Projektionen aller Art. Eine Person allein kann gar nicht für so viel Krampf verantwortlich sein, wie ihr unterstellt wird.

Gerne vergessen ihre Kritiker von heute, wie überzogen die Erwartungen an Künast seinerzeit waren; dass alle führenden Grünen damals tönten, man werde das Rote Rathaus übernehmen. Nun gehört solche Vergesslichkeit zum Geschäft, auch ist klar, dass Fehler stets dem prominentesten Gesicht angelastet werden. Doch bei allem Gemotze über Künasts Schwächen geraten die ihrer Gegner völlig aus dem Blick.

Da wären zum Beispiel die Jungen in der Partei, die endlich nach vorne wollen. Und die sich ärgern, dass Künast nicht von sich aus den Weg frei macht. Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, warum niemand den Mut aufbringt, mit offenem Visier gegen die geschwächte Frontfrau anzutreten. Ihr wollt die Macht? Dann kämpft darum! Die Urwahl beim Spitzenteam böte die Gelegenheit. Auch der Plan mancher Realos, Künast durch ein Spitzenkandidaten-Solo ihres Co-Fraktionschefs Trittin zu erledigen, war geradezu naiv gestrickt. Die Möchtegern-Revolutionäre vergaßen eine Regel: Wer putscht, braucht eine personelle Alternative. Viel zu spät denken sie darüber nach, welche Frau Künast beerben könnte. So kritikwürdig ihr Verhalten auch sein mag – das ihrer Gegner ist es auch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.