Kommentar Krisendemo: Wir zahlen für die Krise - leider!

Die Illusion, wichtige Firmen den Bach runtergehen zu lassen, um einen ökologischen und sozialen Neuanfang zu machen, ist gefährlich. Trotzdem ist es richtig, sich an Krisendemos zu beteiligen.

"Wir zahlen nicht für eure Krise!", so das Motto der beiden Demonstrationen am Samstag in Berlin und Frankfurt/Main, zeitnah zum Treffen der G-20-Staatschefs kommende Woche in London. Erwartet werden bei den Demos mehrere zehntausend TeilnehmerInnen mit Bussen aus über 100 Städten. Das ist erfreulich.

Denn die Dreistigkeit der Hedgefonds-Manager, Investmentbanker, ihrer Vorstandsmitglieder und der Politik, die jahrzehntelang den ausufernden Finanzkapitalismus unterstützt haben - sie ist auch weiterhin existent. Und es ist auch nur folgerichtig, dass die Verursacher der Krise - wie im Demo-Aufruf gefordert - in Form von Reichensteuern und durch eine Anhebung der Spitzensteuersätze ordentlich zur Kasse gebeten werden. Und trotzdem ist das Motto falsch. Diese Krise ist nämlich längst nicht mehr die der Finanzwelt, sondern unser aller. Und ja, wir müssen für sie zahlen - leider.

Auf 4,5 Millionen wird die Zahl der Arbeitslosen allein in Deutschland bis Anfang 2010 gestiegen sein. Es stehen Massenentlassungen längst nicht nur bei Opel, Scheffler und Porzellanfabriken an. Konjunkturpakete in Höhe von 50 Milliarden, wie sie die Bundesregierung derzeit vorlegt, sind bei weitem nicht genug. Mindestens das Doppelte wird allein zur Rettung der wichtigsten Schlüsselbranchen benötigt. Und auch der Schaden bei der einen oder anderen bankrotten Bank wäre für die Allgemeinheit größer, als ihnen zur Rettung Milliarden in den Rachen zu schieben. Die Illusion, große Teile der derzeitigen Wertschöpfung einfach den Bach runtergehen zu lassen, damit ein ökologischer und sozialer Neuanfang gemacht werden kann, ist gefährlich. Es würde Jahrzehnte dauern, bis eine vergleichbare Industriestruktur wieder intakt wäre. Ohne staatliche Hilfe wird eine ganze Generation qualifizierter ArbeitnehmerInnen ihrer Existenzgrundlage beraubt.

Trotz dieses Mottos ist es sinnvoll, am Samstag auf die Straße zu gehen. In der Unterzeile heißt es: "Für eine solidarische Gesellschaft". Zugegeben - eine abgelutschte Floskel. Aber auch die Botschaft der Stunde. FELIX LEE

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

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