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Kommentar Krieg in LibyenStörfall Gaddafi

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Ein Ende der gewaltsamen Auseinandersetzung muss Priorität aller beteiligten Parteien sein. Aber es sieht so aus, als wäre es für eine Verhandlungslösung bereits zu spät.

J eder weitere Tote und Verletzte im Krieg in und gegen Libyen ist einer zu viel. Egal ob Zivilist, aufständischer Kämpfer oder Regierungssoldat. Ein Ende der Gewaltanwendung sollte daher auf allen Seiten oberste Priorität der politischen Bemühungen sein. Soweit die seit Sonntag bekannt gewordenen Vorschläge und diplomatischen Aktivitäten dies zum Ziel haben, sind sie zu begrüßen. Ein Waffenstillstand und Gaddafis Bereitschaft zum Rücktritt wären in der verfahrenen Lage die beste Lösung.

Die Chancen, dass sich der libysche Machthaber darauf einlässt, wären allerdings sehr viel größer gewesen, wenn die internationale Gemeinschaft entsprechende Vorschläge schon vor Beginn der westlichen Militärintervention und der sie ermöglichenden UNO-Resolution vom 18. März gemacht hätte. Oder besser noch vor der Sanktionsresolution vom 26. Februar, mit der der Sicherheitsrat zugleich ein Verfahren gegen Gaddafi vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Gang setzte.

Damals hätte Gaddafi ein – mit für ihn gesichtswahrender Rhetorik – unterbreitetes Angebot, sich mitsamt seinem Familienclan in ein komfortables Auslandsexil zu begeben, vielleicht noch angenommen. So wäre viel Blutvergießen vermieden worden.

Bild: Kristin Flory

ANDREAS ZUMACH ist taz-Korrespondent in Genf.

Als der Autor dieser Zeilen Bundesaußenminister Westerwelle Ende Februar in Genf vor den versammelten Medien aus aller Welt nach dieser Exil-Option fragte, wurde er ausgelacht. Damals setzten alle westlichen Regierungen – egal ob sie später die militärische Intervention unterstützten oder nicht – auf den schnellen Sturz von Gaddafi. Inzwischen wird der Machthaber in Tripolis zwar von immer mehr Getreuen verlassen und steht mit dem Rücken zur Wand. Doch ob Gaddafi sich dieser Lage bewusst ist und, wenn ja, ob dies seine Bereitschaft zum Machtverzicht erhöht oder das Gegenteil bewirkt, ist höchst ungewiss.

Zugleich steht die Nato-geführte Kriegskoalition mit jedem Tag, an dem das Gaddafi-Regime an der Macht bleibt und seine Truppen weiterkämpfen, unter zunehmendem Erfolgszwang und dem Erwartungsdruck der Aufständischen, ihnen zur Vertreibung des gesamten Gaddafi-Clans von der Macht zu verhelfen.

Kein Wunder, dass der Nationalrat der Aufständischen den Vorschlag der beiden Gaddafi-Söhne für einen von ihnen geführten "Übergangsprozess zur Demokratie" umgehend und "vollständig" zurückgewiesen hat. Möglicherweise gibt es für eine wie auch immer geartete Verhandlungslösung zwischen den beiden libyschen Konfliktparteien bereits keinerlei Spielraum mehr. Dann käme es auch nicht zu einem Waffenstillstand – selbst wenn die internationale Kriegskoalition ihre Angriffe einstellen sollte.

Es sei denn, es würden UNO-Blauhelmtruppen zur Durchsetzung eines Waffenstillstands zwischen den Kriegsparteien stationiert. Doch dazu sind die Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates bislang nicht bereit.

Unter diesen Umständen scheint eine wochen-, wenn nicht monatelange Fortsetzung des Blutvergießens in Libyen derzeit leider das wahrscheinlichste Szenario.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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6 Kommentare

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  • N
    newsflash

    AP - Nach weiteren Luftschlägen der Koalitionskräfte und dem Vorrücken der Rebellen haben sich Teile von Gaddafis Truppen Berichten zufolge als Friedensdemonstranten getarnt in den Kommentarbereich der deutschen Zeitung taz zurückgezogen, von wo aus sie aber weiterhin giftige Angriffe auf die Koalition starteten. Unter mehreren Libyenartikeln versammelten sich Menschenmengen mit Gaddafi-Postern, verteidigten das libysche Regime, und protestierten gegen den "imperialistischen" Einsatz. Es wird befürchtet, dass sie dort echte Pazifisten als menschliche Schutzschilde einsetzen könnten.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Wenn der Entstehung dieses Konfliktes nicht unparteiisch auf den Grund gegangen wird, dann muss künftig jedes Land mit vergleichbaren Seltsamkeiten rechnen.Im Vergleich zu anderen afrikanischen Machthabern ist Gaddafi kein Monster. Er gehörte zum Netzwerk internationaler Politik. Noch vor drei Jahren war der heutige Rebellenanführer Mustafa Abdel-Jalil von Gaddafi noch so begeistert, das er auf höchster Ebene als Justizminister in dessen Dienste trat.Als Gaddafis Stern sank, wechselte er die Seiten und behauptet nun das Gegenteil.Als Justizminister Libyens war er für drastische Strafen zuständig. Und auch heute hat noch keiner gesagt für was die Rebellen von Mustafa Abdel-Jalil stehen. Ausländischen Medien entnehme ich ,dass unter den Rebellen auch Afghanistan- Kämpfer dienen. Was hat das zu bedeuten? Warum dürfen wir in Deutschland davon nichts erfahren?

  • F
    franziska.qu

    Glaubt hier wirklich jemand, die Menschenrechte würden irgendjemanden von den Angriffsmächten interessieren? Das steht auf einer Ebene mit den Kriegsgründen "Massenvernichtungswaffen" (Irak, wir erinnern uns doch noch?)und "Frauenbefreiung, Brunnenbohren, Straßenbauen" (Afghanistan).

    Es ist davon auszugehen, dass die sogenannten Rebellen seit langem von in Libyen befindlichen US- und sonstigen Truppen ausgerüstet und trainiert wurden. Wie sonst wären diese militärischen Trupps wohl scheinbar aus dem Nichts entstanden? Weiter fungieren Leute, die z. Teil Jahrzehnte in den USA lebten, und von denen niemand weiß, wie die plötzlich von den USA in die Diktatur Libyen kamen, als sogenannte Führer des Aufstands. Diese Leute schließen bereits Öllieferverträge.

    Gaddafi muß weg, auf Teufel komm raus. Bürgerkrieg? Ach nein. Militärische Intervention zugunsten einer US-gewollten neuen Führungsclique. Da ist nicht die Frage, in welche Richtung die Waagschale sich neigt. Die westlichen Angriffsmächte werden alles tun, dass sie siegen. Die Marines sind der Notnagel... Nun danke ich Merkel und ihrem Guido allen Ernstes, dass sie Deutschland nicht mit in diesen Krieg zogen!Die GRÜNEN, die SPD und die Medien mit der taz schlagen derweil die Kriegstrommeln...interessante Welt.

  • JK
    Jürgen Kluzik

    Zwanzig Jahre lang daran gewöhnt die Stagnation, diese Ruhe vor dem Sturm, nicht zu beachten, und nur bemüht am Computer, vorm Fernsehsessel oder in einer Bibliothek der Langeweile zu entgehen, überschwemmen mich plötzlich Bilder aus Tunis und Kairo mit dem Aufstand der arabischen Jugend.

     

    Dann, zeitgleich, Fukushima. Interessiert mich nur am Rand im Bild, weil das von seiner Technik berauschte Japan am anderen Ende der Globalisierung liegt, und ich auch nach diesem Gau noch nicht an die Lernfähigkeit der Völker und ihrer Regierungen glauben kann.

     

    Also gucke ich vorrangig auf den Störfall Gaddafi. Denn der bedroht "Ratten" mit dem Tod und will Libyen "Haus für Haus säubern".

     

    Im Zentrum meiner Bilder die Rebellenhochburg Bengasi und ihre Morgendämmerung.

    Französische Mirage-Piloten retten das "Ratten"nest in der letzten Minute.

     

    Elf Tage danach will der "antiimperialistische Kämpfer", große "Revolutionsführer" und selbsternannte "König von Afrika", unter seinem Gefuchtel, Libyen in die Demokratie führen.

     

    Ich in Deutschland ergreife Partei für die (laut spiegelonline-Foren) "Turnschuhrevolutionäre", stehe daher gegen junge Stalinisten, alte "Friedensbewegte", Lafontaine, Westerwelle und die nicht von mir gezählten Spiesser. Hinter ihrer Front mehr Gaddafi-Sympathisanten als in Libyen.

     

    Fortsetzung im nächsten Brief

  • HG
    Horst Günther

    Die Blauhelme....seit Elfenbeinküste werden die in keinem Land Afrikas mehr akzeptiert!

     

    Es ist vorbei, es gibt keine Friedenstruppen mehr, nur noch Starke und Tote! Sonst nix

  • DM
    Dr. Martin Wohlfarth-Bottermann

    Ich habe Guido am 29. März gebeten seine besondere Beziehung zu Libyen einzusetzen um Iman al-Obeidi zu helfen. Darauf gab es bisher noch nicht einmal eine automatische Reaktion seines Büros. Welch ein vollständiges Versagen, im Amt!

     

     

    Von: Dr. Martin Wohlfarth-Bottermann

    Gesendet: Montag, 28. März 2011 21:31

    An: 'guido.westerwelle@bundestag.de'

    Betreff: Tripolis

    Anlagen: Seiten aus 2011_03_29.pdf

     

    Sehr geehrter Herr Dr. Westerwelle,

     

    Ihre Entscheidung für die Enthaltung kann vielleicht auch etwas Gutes bewirken,

    wenn Sie jetzt sofort alle Mittel Ihres Amtes einsetzen, um Iman al-Obeidi zu retten.

     

     

    Mit freundlichen Grüßen,

     

     

    Martin Wohlfarth-Bottermann

     

     

    53844 Troisdorf

    Mondorfer Str. 19

    Tel: 0228 85 03 88 95

    Fax: 0228 85 03 88 95

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