Zentrales Ziel der Operation erreicht
Siegesfeier in Jerusalem: Die mächtigsten Politiker Europas folgten der Einladung von Premier Ehud Olmert, um anderthalb Stunden zu feiern. Symbolisch bilden sie eine gemeinsame Front gegen Hamas. Israel darf sich dafür preisen lassen, die Kampfhandlungen in Gaza nach drei Wochen einzustellen. Zugleich erhält es damit den Freibrief für eine Neuaufnahme der Attacken.
Auf israelischer Seite kostete der Krieg 13 Menschen das Leben, darunter nur 9 Soldaten, die im Gazastreifen gefallen sind, einer außerhalb, ebenso wie 3 Zivilisten, und lediglich 5 Soldaten durch direkten Beschuss. Eine Glanzleistung, wie es scheint.
Das Ergebnis ist ein Zustand, wie vor dem Bruch der Waffenruhe am 04.11.08 herrschte: Die Hamas schießt keine Raketen auf Israel. Und doch gibt es zur früheren Situation einen wichtigen Unterschied: Israel hält den Gazastreifen besetzt. Ging es darum?
Was feiert Israel eigentlich: Eine der stärksten Armeen der Welt führt gegen armselig ausgestattete volkskriegerische Kombattanten, die sich ihre Raketen selbst bauen müssen, einen dreiwöchigen Krieg und erreicht, dass danach allein ihr Gegner entscheidet, ob der Raketenbeschuss weitergeht. Dafür sind 1.258 Mensche gestorben, ca. 30% davon Frauen und Kinder, mindestens 5.450 körperlich schwer verletzt, 1,5 Millionen haben schwere seelische Schäden davon getragen. Tausende israelische Soldatinnen und Soldaten wurden brutalisiert und enthemmt, müssen fürs normale Leben erst resozialisiert werden. Unzählige Häuser wurden schwer beschädigt, ganze Straßenzüge in Schutt und Asche gelegt, die Infrastruktur funktioniert nicht mehr.
„Erkämpft“ wurde damit kurzfristig allenfalls ein fiktiver „Zugewinn an Sicherheit", der sich jedoch schnell als ein realer „Verlust an Sicherheit“ herausstellen könnte, und das alles mit völkerrechtswidrigen Mitteln, mit schwersten Kriegsverbrechen, in dem Gefangene gar nicht erst gemacht wurden. Zudem kostete der Krieg Israel jede Reputation: Es gilt nun bei vielen als Staat mit verbrecherische Führung, die verbrecherische Ziele mit verbrecherischen Mittel durchsetzt. Ein teurer Preis für die Besetzung des Gazagebiets.
Die Gaza-Besetzung: Wenn Israel Gaza besetzt halten will, bedeutete das zahlreiche Stützpunkten, Checkpoints und auch neu Siedlungen verbunden mit der Notwendigkeit, für viele Jahre jedes normale Wirtschaften zu unterbinden. Israel käme dadurch in den Ruf, ganz toll lediglich im Zerstören zu sein, aber unfähig, der Wirtschaft dienende Strukturen aufzubauen. Mit Westjordanien vor Augen führte das zudem ziemlich zwangsläufig zur weitaus schärferen Radikalisierung des palästinensischen Volkes. Nachdem Israel sich darauf festgelegt hat, mit Hamas nicht verhandeln zu wollen, kann es nur mit Abbas oder sonst wem reden. Gegenüber den tatsächlichen Machthabern im Gaza bliebe der israelischen Führung aber stets nur die militärische Antwort. Mit diesem Krieg ist die Zahl der Gegner Israels weltweit gestiegen. Weitere Kriege bedeuteten noch mehr Gegner. Noch so ein Gemetzel und den europäischen Mächten wäre es nicht mehr möglich, die Existenz des Staats Israels abzusichern. Als Besatzungsmacht hat sie für Sicherheit und nicht für Tod und Verderben zu sorgen.
Zieht Israel aber aus Gaza ab, hat es mit dem Krieg nichts gewonnen und ihn damit faktisch verloren. Erst Recht, wenn in Kürze auch nur eine der Verbindungen zur Außenwelt geöffnet wird, ganz gleich wie und von wem kontrolliert, hätte sich damit die Lage der Palästinenser gegenüber der Situation zuvor entscheiden verbessert. Das würde ihre Opfer in Volkshelden verwandeln: 1.245 starben, damit das Volk überleben kann!
Auf welche Lösung Israel auch verfällt, Europa wird jetzt erwarten, dass der Warenverkehr nach Gaza frei fließt, wenn es keine Zustände wie in Westjordanien hinnehmen will. Wirtschaft ist nun einmal auch im Gazastreifen ohne offene Grenzen nicht denkbar. Doch damit könnte auch der Iran wie schon im Libanon die Bevölkerung finanziell unterstützen. Dann wäre Gaza für Israel nicht nur unbeherrschbar. Dann hätte der Krieg Auswirkungen weit über Gaza hinaus, vor denen nicht nur Kairo, Amman oder Riad, sondern auch Washington, Berlin, London, Paris, Rom und Madrid zittern. Im schlimmsten Fall verwandelt sich die Hamas gar in eine Zweigniederlassung der iranischen Revolutionsgarden – und darüber hinaus auch die Hezbollah im Libanon. Schließlich würde das auch nicht ohne Auswirkungen auf Westjordanien bleiben.
Seinen so „glorreichen militärischen Erfolg“ kann Israel in keinen politischen umwandeln. Was immer es tut, dauerhafte Stabilität kann es nicht ereichen. Es befindet sich mehr als zuvor in einer Sackgasse. Und langfristig? Im Gazastreifen sind rund die Hälfte aller Einwohner noch Kinder. Wie immer ihre Zukunft aussehen wird, sie wird auch geprägt sein von ihren Erfahrungen mit Israel.
Israel wollte die Situation im Süden verändern. Das hat es erreicht. Vielleicht ist das ein Fortschritt. Doch: Mehr Sicherheit sieht anders aus!
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