Kommentar Korruption unter Ärzten: Arzt im System

Der Bundesgerichtshof mischt sich ein in ein Dilemma, das zu lösen Aufgabe des Parlaments gewesen wäre. Endlich. Das System ist aus dem Ruder gelaufen.

Ein Freiflug nach Chicago. Ein kostenloser BMW. Ein Konto in der Schweiz. So sieht sie in der Praxis aus, die missbrauchte ärztliche Therapiefreiheit: Ärzte wählen die Medikamente für ihre krebskranken Patienten nicht mehr nach deren Bedürftigkeit aus, sondern nach den persönlichen Vergünstigungen, die Pharmafirmen, Apotheker oder Gerätehersteller ihnen für entsprechende Verordnungen versprechen. Hippokrates? Ärztliche Selbstkontrolle? Der Beruf mit dem höchsten Ansehen? Was ist da bloß schiefgelaufen?

Gesundheit, das war einmal ein verfassungsrechtlich gesicherter Anspruch, medizinische Versorgung eine Notwendigkeit. Und die Mehrheit der Bevölkerung, auch die der korrekt arbeitenden 120.000 niedergelassenen Ärzte im Land wünschen, dass auf diesen gesellschaftlichen Konsens weiter Verlass ist. Allein: Das System läuft aus dem Ruder, die Kontrollen der Selbstverwaltung versagen, und die Politik ist unfähig, Sanktionen gegen Fehlverhalten durchzusetzen.

Jetzt mischt sich erstmals der Bundesgerichtshof ein in ein Dilemma, das zu lösen Aufgabe des Parlaments und der Selbstverwaltung gewesen wäre. Die Haltung der Karlsruher Richter wirkt erfrischend. Obwohl das endgültige Urteil noch aussteht, lässt ihre Vorabpositionierung wenig Zweifel: Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitssystem sind keine Kavaliersdelikte. Auch die Götter in Weiß dürften demnächst bestraft werden, wenn ihr Handeln nicht von medizinischer Notwendigkeit, sondern von Bestechlichkeit geleitet ist.

Die Geschäfte mit der Skrupellosigkeit dürften bald also zumindest härter sanktioniert werden. Ansonsten gilt: Euphorie in Maßen. Ärztliche Bestechung wird es weiterhin geben. Denn wo keine oder zu wenige Kläger, da kein Richter. Ärzte werden auch künftig Champagnerkisten von Apothekern in Empfang nehmen, werden von der Industrie gesponsert durch die Welt jetten. Seis drum. Wer meint, dies nicht selbst bezahlen zu können von einem sechsstelligen Jahreseinkommen, dem ist nicht zu helfen.

Und die vielen korrekt agierenden Mediziner? Sie sollten den Hinweis aus Karlsruhe nicht als Angriff werten, sondern als Chance, über die Würde ihres Stands nachzudenken. Und eigene Reformen anschieben. Denn wer absichtlich unnütz oder teuer verordnet, der schädigt nicht bloß Patienten und Beitragszahler. Sondern auch die Kollegen.

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Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

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