Kommentar Koalitionsgipfel: Drei Linien, nicht eine einzige
Schwarz-Gelb ist zerrüttet, inhaltlich wie psychologisch. Der Koalitionsgipfel zeigt dies ganz deutlich.
N ormalerweise dienen Koalitionsgipfel dazu, das Wichtige zu entscheiden. Die viel beschäftigten Parteivorsitzenden treffen sich vertraulich und in kleiner Runde, um endlich Themen abzuräumen, bei denen sich die Fachpolitiker verhakt haben. So jedenfalls die Theorie. Angela Merkel, Horst Seehofer und Philipp Rösler haben dieses Treffen jetzt zum Floskelgipfel umgewidmet: Wir reden mal ein bisschen im Kanzleramt, entscheiden, äh, nun ja: nichts, nennen das aber „sich über die großen Linien verständigen“.
Doch auch die schönsten Euphemismen der Vorsitzenden können nicht über den katastrophalen Zustand von Schwarz-Gelb hinwegtäuschen. Denn genau dies ist ja gerade das Problem dieser Koalition: Sie verfügt über keine einzige große Linie mehr, über die man sich verständigen könnte.
Schwarz-Gelb ist zerrüttet, inhaltlich wie psychologisch. Bei fast jedem zentralen Thema tun sich Gräben zwischen den vermeintlichen Partnern auf, die Protagonisten begegnen sich mit Misstrauen, oder sie beharken sich gleich in Interviews. Statt einer Linie, um noch einmal im Bild zu bleiben, präsentiert Schwarz-Gelb drei Linien – für jede Partei eine.
ist Leiter des Parlamentsbüros der taz.
CSU-Chef Seehofer denkt an die Landtagswahl in Bayern. Und treibt deshalb rücksichtslos das miefige Betreuungsgeld voran. Merkel setzt auf Demobilisierung der SPD-Wähler im Bund und lackiert ihre CDU rot. Und winkt deshalb mit einem schwammigen Mindestlohn. FDP-Chef Rösler schließlich hofft, mit einem wirtschaftsliberalen Kurs die eigene Haut retten zu können. Und sperrt sich gegen Mindestlöhne und die Finanztransaktionssteuer. Diese Koalition redet nicht mehr darüber, was sie bis zum Wahlkampf noch tun könnte. Sie befindet sich längst mittendrin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid