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Kommentar KoalitionenMythos Lagerwahlkampf

Kommentar von Ralph Bollmann

Die Parteien richten sich auf Lagerwahlkampf ein - den politischen Konstellationen zum Trotz. Noch vier Jahre Große Koalition und unsere politische Landschaft sieht aus wie in Italien.

Bild: taz

Ralph Bollmann ist Chef des Parlamentsbüros der taz.

Nachdem jetzt auch noch die Linke eine zumindest rhetorisch verschärfte Version ihres Wahlprogramms beschlossen hat, scheint die Ausgangslage für die Bundestagswahl klar: Alle tun so, als kehrten nach einer Phase des koalitionspolitischen anything goes die alten Lager und klaren Positionen zurück. Bereits am Wochenende hatten sich die Grünen von einem Jamaikabündnis mit der Union verabschiedet, FDP-Chef Guido Westerwelle schloss umgekehrt eine Ampelkoalition mit den Sozialdemokraten aus.

Die Bekenntnisse stehen in krassem Widerspruch zu der politischen Konstellation, die auch für die Zeit nach der Bundestagswahl als die wahrscheinlichste gilt: zur Fortsetzung der großen Koalition. Union und SPD haben sich darauf insgeheim schon eingestellt. Der Fundamentalismus der drei Kleinen ist letztlich nur Ausdruck der Resignation angesichts ihres fortdauernden Ausschlusses von der Macht - auch wenn die FDP noch aufs Regieren mit der Union hofft.

Im angeblichen Duell zwischen der Kanzlerin und ihrem Stellvertreter geht es nicht um die Auseinandersetzung zweier Lager, sondern um die Verteilung von ein paar Prozentpunkten, die am Ende über Ministerposten und Einflussmöglichkeiten entscheiden. Doch statt ihre Funktion als Opposition wahrzunehmen und diese Inszenierung bloßzustellen, füllen die drei Kleinen ihre Rollen in dem Schauspiel namens Lagerwahlkampf brav aus.

Eins steht fest: Geht die große Koalition in die Verlängerung, bekommen wir ein anderes politisches System: sehr weit von der alten Bundesrepublik entfernt und sehr nah am Italien des vorigen Jahrhunderts. Eine so schwindsüchtige wie inhaltlich unbestimmte Christdemokratie erhält gleichwohl das Abonnement aufs Regieren, zur Mehrheitsbeschaffung bedient sie sich wahlweise sozialdemokratischer oder liberaler Kleinparteien. Womöglich schließt sie eines Tages sogar den historischen Kompromiss mit der Linken - während die Sozialdemokraten über ihr Verhältnis zur roten Konkurrenz noch immer streiten.

Ein solches System produziert auf der Oberfläche zwar täglich neue Aufgeregtheiten, schließt in der Tiefendimension aber jeden wirklichen Wandel aus. So regiert in diesem deutschen Wahlkampf das alte Prinzip aller italienischen Politik: Es ist nötig, dass alles sich verändert - damit am Ende alles so bleibt, wie es ist.

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5 Kommentare

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  • G
    GonZoo

    Dia italienischen Momente im Leben können wir auch heute schon genießen.

    In den letzten Legislaturperioden hat sich die Bundesrepublik immer mehr in eine Lobbykratie verwandelt. Das einzige, was SPD, CDU/CSU und FDP aus den Parteispendenaffären gelernt haben ist, sich möglichst nicht mehr so leicht erwischen zu lassen und ihren Herrchen noch bessere Dienste zu leisten. Unsere Ministerien sind von Lobbyisten unterwandert, die entscheidenden Positionen in den großen Parteien sind in der Hand einiger Interessenvertreter.

    Protestparteien wie die Linke können diese Entwicklung nicht aufhalten.

    Der deutsche Durchschnittswähler wird nun entweder vollends zum Nichtwähler oder sorgt auch anderweitig für deftige Überraschungen wie in der betulichen Kur- und Millionärsstadt Bad Homburg: dort hat ein Grüner mit satten 59,5 Prozent den Posten des Oberbürgermeisters erobert - nach 60 Jahren CDU-Herrschaft.

    Wer jetzt den Kopf in den Sand steckt und sich nicht engagiert übersieht eine sehr große Chance, in diesem Land etwas zu ändern.

  • LP
    Ludwig Paul Häußner

    Der Wandel zur nachindustriellen Gesellschaft ist bereits im Gange

     

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    Die Union wie auch die (Rest-)SPD sind die Repräsentanten der schon seit 1975 in Deutschland zu Ende gehenden Industriegesellschaft.

     

    Der bismarcksche Sozialstaat, finanziert aus Sozialabgaben auf den Faktor ARBEIT, ist am Ende.

     

    Das Steuersystem wurzelt in vorindustrieller Zeit.

     

    Die nachidustrielle Gesellschaft (Daniel Bell, 1973) erfordert soziale Basisinnovationen:

     

    - ein System der Ausgabensteuer und

    - ein bedingungloses Grundeinkommen

     

    nach dem Motto: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Grund-Bedürfnissen!

     

    Soziale Gerechtigkeit als Fairness (John Rawls).

     

    Der einzige Lichtblick in Bezug auf eine Fortsetzung der großen Koalition ist, dass nur sie die Macht haben wird die MwSt - schrittweise - auf EU-konforme 25% zu erhöhen.

     

    Der gesellschaftliche Wandel erfordert genau dieses, unabhängig von der aktuellen wie akuten Haushaltslage.

     

    In Folge einer MwSt-Erhöhung und dem Grundeinkommen als ausgezahlter MwSt-Bonus und generellem Sozial- bzw. Einkommenstransfer wird die nachindustrielle Gesellschaft auf eines finanzielle Fundament gestellt.

     

    Der gesellschaftliche Wandel lässt sich eben nicht aufhalten. Aufgabe der Politik ist es die damit verbundenen Managementprobleme zukunftsweisend zugestalten. Die BürgerInnen aber sind es die diesen Wandel letztlich verursachen.

     

    Ludwig Paul Häußner

    Universität Karlsruhe (TH)

  • J
    jan

    Dieses Parteiensystem hat abgewirtschaftet. Wir brauchen endlich die direkte Demokratie und die Umsetzung des Art. 20 GG, basta.

    Fünfjährliches folgenfreies Frisurenwählen der immergleichen Marionetten gibt es auch in Gaza, Russland und USA, die politischen Entscheidungen der Parteien haben mit dem Willen und dem Wohl des Volkes schon lange nichts mehr zu tun.

  • D
    Django

    Mal ehrlich - wem man auch zuhört - alle bringen immer nur weichgespültes Gelaber.

    Ich habe lange keinen Politiker mehr gehört, der klar Stellung bezieht - egal ob in der Regierung, der Opposition oder als Gewerkschafter getarnt.

    Bloß nicht politisch unkorrekt sein, bloß keinem auf den Schlips treten, bloß keine Blöße geben...

  • R
    Rusti

    Seltsame Stille.

    Scheint an dem sehr guten Kommentar zu liegen.

    Ich kann mich dem jedenfalls nur anschließen.

    Traurig aber war.