Kommentar Kleinkredite in Indien: Wachstumswahn im Mikrowesen

Auch Mikrofinanzinstitute haben - wie Großbanken - faule Kredite angehäuft. Daran und an dem langsamen Lernen der Armen, droht die Idee zu scheitern.

Noch vor zwei Jahren war das Mikrokreditwesen ein Gewinner der globalen Finanzkrise. Der Bankenkollaps an der Wall Street würde nicht die kleinen Mikrofinanzinstitute in den Entwicklungs- und Schwellenländern treffen, hieß es. Denn im Gegensatz zu amerikanischen Hausbesitzern würden indische Bäuerinnen ihre Kredite immer pünktlich zurückzahlen. Damals schichteten große westliche Kapitalanleger einen Teil ihrer Anlagen auch in die Mikrofinanzindustrie um. Das schien sicher und zudem noch sozial.

Doch Kreditwesen bleibt Kreditwesen, ob für arm oder mittelständisch, ob in den USA oder in Indien. Wer seinen Kunden das Geld hinterherschmeißt, um die eigenen Bilanzen zu schönen, wer sich nicht die Mühe macht, seine Kreditnehmer zum sinnvollen Umgang mit ihrem Geld anzuleiten, der schafft die nächste Kreditblase.

Deshalb geht es den für ihr soziales Engagement für die Armen einst hochgelobten Mikrofinanzinstituten in Indien heute nicht anders als den Großbanken in den USA. Sie verfielen dem Wachstumswahn, vergaben ihre Gelder zu sorglos und haben damit - ganz besonders im Bundesstaat Andhra-Pradesh in Südindien, dem Mekka der Mikrokredite - Milliardensummen an versteckten, faulen Krediten angehäuft.

Ein Grund für ihre Sorglosigkeit aber war einst die Euphorie im Westen. Als Muhammad Yunus 2006 den Friedensnobelpreis erhielt, als die Bill-Gates-Stiftung zeitgleich groß ins Mikrokreditgeschäft einstieg und eBay-Gründer Pierre Omidyar 100 Millionen Dollar für das neue Geschäft mit den Armen spendete, da glaubte man plötzlich über ein neues Patentrezept für die Armutsbekämpfung zu verfügen.

Der Geist des Silicon Valley, von Venture-Kapital und Informationstechnologie, zog damals ins Mikrokreditwesen ein. Doch die Armen dieser Welt lernen langsam. Sie können meist nicht lesen und schreiben. Auch daran droht Yunus gute Idee heute zu scheitern.

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Georg Blume wurde 1963 in Hannover geboren und ist gelernter Zimmermann. Er leistete seinen Zivildienst in einem jüdischen Kinderheim sowie in einem Zentrum für Friedensforschung in Paris. Danach blieb Georg Blume in Frankreich und wurde Korrespondent der taz. 1989 wurde er Tokio-Korrespondent der taz, ab 1992 auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Von 1997 bis 2009 lebte er in Peking, wo er ebenfalls als Auslandskorrespondent für die ZEIT und die taz schrieb, seit August 2009 ist er für die beiden Zeitungen Korrespondent in Neu-Delhi. Bekannt geworden ist Georg Blume vor allem durch seine Reportagen über Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen in China. Für dieses Engagement erhielt er 2007 den Liberty Award, mit dem im Ausland tätige Journalisten für ihre couragierten Berichterstattungen gewürdigt werden. 2012 wurde er mit dem Medienethik-Award META der Hochschule der Medien in Stuttgart ausgezeichnet. Publikationen: „Chinesische Reise“, Wagenbach, Berlin 1998. „Modell China“, Wagenbach, Berlin 2002. „China ist kein Reich des Bösen“, Körber, Hamburg 2008.

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