Kommentar Klaus Ernst: Nicht gewappnet für den Ernstfall
Klaus Ernst ist ein westdeutscher Aufsteiger. Er hat deswegen keine Scheu, seinen Reichtum zu zeigen. Beim Streit um sein Einkommen geht es im Kern um Mentalitäten.
D as Sommerloch hat ein erstes Opfer gefordert: Klaus Ernst, Chef der Linkspartei. Ernst verdiene zu viel, heißt der mit moralischem Tremolo unterlegte Vorwurf. Der Zeigefinger wird erhoben, gerne von Journalisten, die für die 3.500 Euro, die Ernst als Parteichef bekommt, noch nicht mal aufstehen würden. Diese mediale Kampagne lässt sich auch durch den Mangel an skandalösen Neuigkeiten nicht irritieren. Die Süddeutsche Zeitung überschrieb einen Artikel neulich mit der Zeile: "Ernst tritt nicht zurück." So macht man Stimmung.
Natürlich hat die Öffentlichkeit ein Recht, über die Gehälter von Spitzenpolitikern zu debattieren. Es gibt aber zu denken, dass sich niemand über das (höhere) Gehalt etwa von SPD-Chef Sigmar Gabriel aufregt. Was im Falle Ernst stört, ist zudem die Maßlosigkeit der Vorwürfe, die bedenkenlose Übertreibung seiner Bedeutung und die Inszenierung als Sündenfall.
Im Kern geht es um Mentalitäten. Ernst ist ein westdeutscher Aufsteiger, der von ganz unten kommt und seine Karriere in der IG Metall gemacht hat. Er hat, wie viele Aufsteiger, keine Scheu, seinen Reichtum zu zeigen. Dieser Habitus verstört viele ostdeutsche Genossen, die einem gefühlten Egalitarismus verpflichtet sind, der noch aus DDR-Zeiten stammt.
Stefan Reinecke ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz, hier insbesondere zuständig für die Partei "Die Linke".
Ernst hat viel dafür getan, dass die Debatte in einer Endlosschleife hängen geblieben ist. Warum verzichtet er nicht auf die Zulage von 1.900 Euro als Fraktionsvorstand? Das wäre eine souveräne Geste, die zeigen würde, dass der Parteichef seine Ostgenossen verstanden hat. Doch diese Art von Klugheit fehlt ihm leider. Stattdessen vergeigt er das Krisenmanagement.
Doch diese Affäre wird verschwinden. Die Frage, die bleiben wird, ist: Was macht Klaus Ernst, wenn die Partei mal ein echtes Problem hat?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern