Kommentar Kircheneigentum: Erdogans Paukenschlag
Die Rückgabe von enteignetem Kircheneigentum in der Türkei ist ein historischer Schritt auf dem Weg zur vollen Gleichberechtigung nicht-muslimischer Minderheiten.
S eit seinem dritten Wahlsieg und dem Rücktritt der kompletten Armeeführung steht der türkische Ministerpräsident Erdogan auf dem Höhepunkt seiner Macht. Nun nutzt er sie für einen Paukenschlag. Sein Dekret, konfiszierte Immobilien und Grundstücke an nichtmuslimische Minderheiten zurückzugeben, bedeutet einen Bruch mit deren jahrzehntelanger Diskriminierung durch den türkischen Staat.
Die sukzessive Verstaatlichung von Kirchen, Schulen, Krankenhäusern und anderen Besitztümern gehört zu den größten Problemen, unter denen die griechisch-orthodoxe, die armenische und die jüdische Gemeinde des Landes bis heute zu leiden haben. Nun dürfen sie hoffen, ihren Besitz zurückzubekommen, oder, und das ist neu, eine Entschädigung erwarten, wenn dieser verkauft wurde. Das ist ein historischer Schritt auf dem Weg hin zur vollen Gleichberechtigung religiöser Minderheiten in der Türkei.
Als gläubiger Muslim, als der er sich gerne präsentiert, mag es Erdogan leichter fallen, anderen Glaubensgemeinschaften mehr Religionsfreiheit einzuräumen, als etwa in der Kurdenfrage mutig voranzuschreiten. Auch wird man sehen müssen, wie diese Verordnung letztlich in die Praxis umgesetzt wird.
ist Redakteur im Meinungsressort der taz.
Dennoch darf man diesen Schritt nicht unterschätzen, rührt er doch am Erbe des Republikgründers Atatürk, in dessen Regierungszeit der Beginn der staatlichen Enteignungspolitik fällt. Indem er diese Politik in Frage stellt, dürfte Erdogan rechte und linke Nationalisten, die traditionell ein geradezu paranoides Misstrauen gegen alle Minderheiten im Lande hegen, gegen sich aufbringen. Doch das kann er sich jetzt leisten.
Dass er damit eine alte Forderung der EU erfüllt, ist bestenfalls ein Nebenaspekt. Denn an einem EU-Beitritt haben die meisten Türken längst das Interesse verloren.
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