piwik no script img

Kommentar KircheneigentumErdogans Paukenschlag

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Die Rückgabe von enteignetem Kircheneigentum in der Türkei ist ein historischer Schritt auf dem Weg zur vollen Gleichberechtigung nicht-muslimischer Minderheiten.

S eit seinem dritten Wahlsieg und dem Rücktritt der kompletten Armeeführung steht der türkische Ministerpräsident Erdogan auf dem Höhepunkt seiner Macht. Nun nutzt er sie für einen Paukenschlag. Sein Dekret, konfiszierte Immobilien und Grundstücke an nichtmuslimische Minderheiten zurückzugeben, bedeutet einen Bruch mit deren jahrzehntelanger Diskriminierung durch den türkischen Staat.

Die sukzessive Verstaatlichung von Kirchen, Schulen, Krankenhäusern und anderen Besitztümern gehört zu den größten Problemen, unter denen die griechisch-orthodoxe, die armenische und die jüdische Gemeinde des Landes bis heute zu leiden haben. Nun dürfen sie hoffen, ihren Besitz zurückzubekommen, oder, und das ist neu, eine Entschädigung erwarten, wenn dieser verkauft wurde. Das ist ein historischer Schritt auf dem Weg hin zur vollen Gleichberechtigung religiöser Minderheiten in der Türkei.

Als gläubiger Muslim, als der er sich gerne präsentiert, mag es Erdogan leichter fallen, anderen Glaubensgemeinschaften mehr Religionsfreiheit einzuräumen, als etwa in der Kurdenfrage mutig voranzuschreiten. Auch wird man sehen müssen, wie diese Verordnung letztlich in die Praxis umgesetzt wird.

Bild: taz
Daniel Bax

ist Redakteur im Meinungsressort der taz.

Dennoch darf man diesen Schritt nicht unterschätzen, rührt er doch am Erbe des Republikgründers Atatürk, in dessen Regierungszeit der Beginn der staatlichen Enteignungspolitik fällt. Indem er diese Politik in Frage stellt, dürfte Erdogan rechte und linke Nationalisten, die traditionell ein geradezu paranoides Misstrauen gegen alle Minderheiten im Lande hegen, gegen sich aufbringen. Doch das kann er sich jetzt leisten.

Dass er damit eine alte Forderung der EU erfüllt, ist bestenfalls ein Nebenaspekt. Denn an einem EU-Beitritt haben die meisten Türken längst das Interesse verloren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • W
    Wertkonservativliberaler

    @ Migrant:

     

    Bitte Fakten:

     

    Welche Stiftungen?

     

    Welche Säkularisierungsoffensive?

     

    Und wo?

     

    Fakt ist: christliche Kirchen dürfen in der Türkei kein Land erwerben, keine Priester ausbilden (Priesterseminare sind verboten). Fakt ist, dass Christen in der Türkei (und anderen islamischen Staaten bis heute, z. B. die Kopten in Ägypten) über Jahrhunderte lang verfolgt, drangsaliert und vertrieben wurden.

     

    In der Bundesrepublik Deutschland dagegen können islamische Gemeinden Grundstücke erwerben, sich ins Grundbuch eintragen lassen und natürlich auch Imame ausbilden.

     

    Sie müssen mich nicht belehren: der Islam ist alles andere als tolerant gegenüber Anders- und Nichtgläubigen.

  • M
    Migrant

    An Werkonservativliberaler:

     

    Abgesehen davon, dass aus der Ecke Springer Verlag ausser Feindschaft gegen die Türken nichts kommt, muss ich erwähnen dass die Muslime zB sämtliche Besitze aus Stiftungen im Rahmen der Sekulärisierungsoffensive verloren haben. Sie bekommen und bekamen nichts. Das wird hier auch nicht erwähnt.

  • TL
    taz Leser

    Ein Vorbild für Europa! Erst rottet man religiöse Minderheiten (Christen, Armenier etc.) aus und drangsaliert die spärlichen Reste 100 Jahre lang, und dann gibt man großzügig die paar geklauten Brocken zurück.

     

    Erdogan ist ein großer Führer! Allahu Akbar!

  • W
    willy

    Na denn is ja jut!

  • W
    Wertkonservativliberaler

    Leider erfährt der taz-Leser nicht, dass sich diese von Bax hochgejazzte Großmütigkeit von Erdogan nicht auf Katholiken, Lutheraner, Aramäer und Kurden bezieht.

     

    Ist das Journalismus oder Meinungsmache pro Erdogan?

     

    Für die taz-Leser, die auch an der anderen Seite der Medaille interessiert sind, siehe:

     

    http://www.welt.de/politik/ausland/article13573434/Der-tuerkische-Staat-will-Kirchen-zurueckgeben.html