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Kommentar Kinder HaitiWo Kriminalität auf Naivität trifft

Toni Keppeler
Kommentar von Toni Keppeler

Das Schema ist alt und wieholt sich: Katastrophen und Chaos erleichtern das Geschäft. El Salvador, Rumänien – und jetzt Haiti.

Das riecht nach Kinderschiebermafia. Die zehn US-Amerikaner, die in Haiti verhaftet wurden, weil sie 33 Kinder ohne entsprechende Papiere über die Grenze bringen wollten, sagen zwar, sie hätten nur ein gutes Werk tun wollen. Aber der Abtransport der kleinen Erdbebenopfer - von denen einige nachweislich keine Waisen sind - war generalstabsmäßig geplant. Die Vorhut der Gruppe war schon vor dem Erdbeben in Haiti auf Kindersuche. In der Dominikanischen Republik steht ein Strandhotel für über hundert solcher Kinder bereit - mit Bungalows für adoptionswillige Paare und mit Rechtsanwälten, die beim Papierkram helfen.

Das Schema ist alt. Im Bürgerkrieg in El Salvador (1980 bis 1992) explodierte die Zahl solcher "Waisenhäuser": Soldaten raubten die Kinder aus von der Guerilla kontrollierten Gegenden und verkauften sie mit der Hilfe von Anwälten und korrupten Familienrichtern meist in die USA. In "Auffütterstationen" wurden die Kinder gesammelt: Die Ware sollte rund und schön sein, damit sie schneller weg geht. 20.000 Dollar und mehr an "Adoptionsgebühren" waren die Regel. Nach dem Bürgerkrieg ging das goldene Geschäft in Guatemala weiter - so stieg das Land nach China zum weltweit zweitgrößten Exporteur von Adoptionskindern auf, bis zu 200 Millionen Dollar im Jahr werden damit umgesetzt.

Toni Keppeler

ist Mittelamerika-Korrespondent der taz.

Katastrophen und Chaos erhöhen die Nachfrage und erleichtern das Geschäft. In den wirren Tagen nach Ceausescus Sturz wurden Rumäniens Waisenhäuser zum Supermarkt für Kinder, jetzt ist Haiti an der Reihe. Wenn sich ein unerfüllter Kinderwunsch mit dem Impuls verbindet, ganz schnell und ganz persönlich zu helfen, ist das Ergebnis meist blinde Naivität. Man weiß nichts von kriminellen Kinderhändlern und will es auch gar nicht wissen. Und man vergisst, dass jedes Kind - ob Waise oder nicht - ein Recht darauf hat, in seinem Land und in seiner Sprache, seiner Kultur und Religion aufzuwachsen.

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Toni Keppeler
Auslandskorrespondent Mittelamerika
1956 im Hohenlohischen geboren. Hat beim Schwäbischen Tagblatt in Tübingen Journalismus gelernt und dort als Redakteur fast zehn Jahre lang ausgeübt. Danach war er vier Jahre Journalismusprofessor an der Zentralamerikanischen Universität in San Salvador, acht Jahre Korrespondent für Mittelamerika und die Karibik für taz (Berlin) und Weltwoche (Zürich) und vier Jahre Auslandsredakteur beim Schweizer Nachrichtenmagazin Facts. Von 2006 bis 2009 bei der Reportage-Agentur Zeitenspiegel, zuletzt als Mitglied der Geschäftsführung. Er ist Dozent an der Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl in Reutlingen und der Burda Journalistenschule in Offenburg. 1987 wurde er mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. 2010 Mitgründer von latinomedia - Büro für Journalismus. Er betreut seither das latinomedia-Büro Tübingen und pendelt zwischen Deutschland und Lateinamerika.
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1 Kommentar

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  • CM
    Christoph Mischo

    Selbstverständlich muss krimineller Kinderhandel unbedingt unterbunden und konsequent verfolgt werden. Aber die Sachlage ist vielschichtiger und komplexer, als sich Toni Keppeler offenbar vorstellen kann. Für viele Kinder in Kinderheimen bietet eine Auslandsadoption die (oft einzige) Aussicht auf Entwicklungschancen. Eine Auslandsadoption sollte über akkreditierte Organisationen erfolgen, die durch aufwändige Prüfungsverfahren die Eignung der Bewerber und die Legitimität des Verfahrens gewährleisten. Die Argumentation von Herrn Keppeler, dass "jedes Kind ein Recht darauf hat, in seinem Land und in seiner Sprache, seiner Kultur und Religion aufzuwachsen" ist zwar weit verbreitet, aber dennoch falsch. Hatten Kinder beispielsweise „das Recht“, unter menschenunwürdigen Bedingungen in den (von Herrn Keppeler als „Supermarkt für Kinder“ bezeichneten) Kinderheimen des Ceaucescou-Regimes dahinzuvegetieren? Sind eine bestimmte Kultur und Sprache etwa angeboren und entwicklungsnotwendig? Bedeutet die Herkunft eines Kindes, dass es in seinem Herkunftsland verbleiben sollte, auch wenn dort die allernötigsten Grundbedürfnisse des Kindes nicht befriedigt werden? Sollte man daher Migrationen ablehnen, weil sie Kinder aus „ihrer“ Kultur (worin besteht diese?) in eine andere Kultur führt? Richtig ist: Es ist für alle Kinder zu fordern, dass sie unter Bedingungen aufwachsen können, die ihnen gute Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Wenn dies im „Herkunftsland“ (auch mit ausländischer Hilfe) möglich ist, sollte dies Priorität haben. Wenn dies nicht möglich ist, werden allzu schlichte Argumentationen und moralische Überheblichkeit der Problematik nicht gerecht.