Kommentar Kenia: Brutaler Opportunismus
Vor fünf Jahren war Kibaki noch der demokratische Hoffnungsträger. Doch die chaotische Wahl zeigt: Was er damals bekämpfte, gehört inzwischen zu seinem Repertoire.
D as nach Ende einer chaotischen Auszählung veröffentlichte Wahlergebnis, gefolgt von einer Vereidigung im Schnelldurchlauf, versetzt Kenia zurück in die Zeit, als noch der Autokrat Daniel arap Moi als zweiter Präsident das Land beherrschte. Auch der fälschte Wahlen, und im Zweifel wehrte er sich gegen seine Bürger mit der geballten Macht von Militär und Polizei. Als die Kenianer vor fünf Jahren einen Hoffnungsträger für die Demokratie - Mwai Kibaki - wählten, hatten sie gehofft, dieses dunkle Kapitel für immer hinter sich gelassen zu haben.
Damals versprach Kibaki, Schluss zu machen mit Korruption und Staatswillkür, und wurde dafür wie ein Popstar gefeiert. Heute kann er sich nicht mehr auf die Straße trauen. Denn mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses, das nahezu jeder für gefälscht hält, setzten die Straßenkämpfe ein. Polizei und Militär sind aufmarschiert, Demos wurden verboten, die Berichterstattung eingeschränkt: Genau gegen solche Maßnahmen war Kibaki einst auf die Straße gegangen. Man kann es den Kenianern also nicht verdenken, dass sie sich betrogen fühlen. Gestärkt durch die Erfahrung von Kibakis Wahl wollten sie ihren Präsidenten abwählen - und durften nicht. Der Frust bricht sich vor allem bei den arbeitslosen Jugendlichen Bahn, denen ihre letzte Hoffnung genommen wurde. Dafür muss man kein Verständnis haben, aber nachvollziehbar ist es schon.
Gleichzeitig hat sich der 76-jährige Kibaki in eine aussichtslose Lage manövriert. Die Vertreter des alten Regimes, die ihn zuletzt unterstützt hatten, wurden von den Wählern aus dem Parlament geworfen. Sein Parteienbündnis kontrolliert gerade mal ein Siebtel der Sitze; die orange Opposition seines schärfsten Widersachers kommt knapp auf die Hälfte. Möglicherweise muss Kibaki also doch noch seine Niederlage eingestehen.
Dem Vielvölkerstaat Kenia, das bislang kaum Unruhen kannte, steht eine schwere Zeit bevor. Der im Wahlkampf von beiden Seiten aufgerissene Graben zwischen Luo und Kikuyu, den beiden größten Ethnien des Landes, wird so bald nicht geschlossen werden: Das hat Kibaki mit seinem Coup in jedem Fall erreicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch