Kommentar Kaufkraft: Ab nach Kreuzberg!
"Fuck you money" haben heute nur noch die wenigsten Mittelschichtler, denn ihre Kaufkraft ist in den letzten Jahren gesunken. Gut geht es ihnen nur in unmittelbarer Nähe zu noch Ärmeren.
Conspicuous consumption", "demonstrativer Konsum" - so nennt man den kulturellen Code, nach dem sich Leute dicke Autos, Designermöbel und Fernreisen leisten, um der Umgebung zu zeigen: Ich bin erfolgreich, ich gehöre zu den Wohlhabenden. Das demonstrative Konsumverhalten, in den USA untrennbar mit der Gesellschaft verbunden und auch hierzulande als Zeichen mittelschichtigen Wohlstands angesehen, ist heute Vergangenheit. Die Mittelschicht hat andere Sorgen. Und die verlangen nach neuen Maßstäben.
Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz.
Im vergangenen Jahr hatte ein vierköpfiger Arbeitnehmerhaushalt nach Abzug der Preissteigerungsrate 1,3 Prozent weniger Einkommen zur Verfügung, so neuere Zahlen von der Bundesregierung. Ein Schrumpfungsrekord. 1999 konnte sich dieser Haushalt noch über ein reales Plus von 3,9 Prozent mehr Kaufkraft freuen. Die groß angekündigten Steuersenkungen, die Entlastungen bringen und den Konsum ankurbeln sollten - alles so nicht eingetreten. Die gestiegenen Preise für Strom, Benzin und Lebensmittel fressen jedes Einkommensplus sofort wieder auf. Gleichzeitig sollen ArbeitnehmerInnen aus ihrem selbst Verdienten steigende Gesundheitskosten begleichen, dem Kind die bestmögliche Ausbildung zahlen und private Altersvorsorge betreiben. Das wichtigste, das am höchsten gehandelte Gut der Mittelschichten ist damit heute unsichtbar: Es ist die Zukunftssicherheit durch Geldbesitz. "Fuck-you money", so nennen die US-Amerikaner ein Vermögen, das innerlich unabhängig macht, so dass man auch dem Chef ein letztes "Fuck you" entgegenbrüllen kann vor dem dramatischen Abgang. Theoretisch.
Doch "Fuck-you money" haben nur noch die wenigsten. Die anderen können sich immerhin trösten, etwa mit der US-amerikanischen Konsumforschung. Von ihr weiß man, dass Menschen sich immer im Verhältnis zum unmittelbaren sozialen Umfeld als "arm" oder "reich" einschätzen. Wenn die anderen noch weniger haben als man selbst, ist alles halb so schlimm. Mittelschicht, zieh nach Berlin-Kreuzberg! Dann wird es leichter.
BARBARA DRIBBUSCH
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