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Kommentar KanzlerinDie Revolutionen der CDU

Kommentar von Ralph Bollmann

Der Kurswechsel der CDU ist eine Revolution: Wollte sie vor fünf Jahren noch den fast Rückzug der öffentlichen Hand aus der Wirtschaft, nähert sie sich nun dem Ideal des fürsorglichen Staates.

Bild: taz

Ralph Bollmann ist Leiter des Parlamentsbüros der taz.

Bevor Angela Merkel am Wochenende mit ihren Parteifreunden in Klausur ging, sprach sie im Erfurter Kaisersaal. Es handelt sich um das Veranstaltungslokal, in dem die SPD nach dem Ende des Sozialistengesetzes 1891 ihr legendäres Erfurter Programm beschloss. Dessen Grundgedanken fasste der Parteiideologe Karl Kautsky in dem Bonmot zusammen: Die SPD ist eine revolutionäre, aber keine Revolutionen machende Partei. Bei der CDU hingegen ist es umgekehrt, wie Merkel in Erfurt erneut demonstrierte: Die Union ist keine revolutionäre, aber eine Revolutionen machende Partei.

Viel weniger als eine Revolution ist es jedenfalls nicht, wenn die Partei der Kanzlerin in diesen Tagen einen bemerkenswerten Kurswechsel vollzieht. Wollte die CDU-Vorsitzende vor fünf Jahren noch den fast völligen Rückzug der öffentlichen Hand aus dem Wirtschaftsleben, so nähert sie sich nun dem Idealbild des fürsorglichen Staates - wenn auch in Trippelschritten und oft gedrängt von den eigenen Parteifreunden, ganz wie es ihre Art ist. Im Krisenwahlkampf 2009 wird Merkel anknüpfen an die alten Leitbilder des rheinischen Kapitalismus und die väterliche Fürsorge ihres Vorgängers Konrad Adenauer, an dem sich die CDU zum 60. Geburtstag der Bundesrepublik orientieren will.

Der Kursschwenk ist kaum weniger abrupt als jener, den Schröder in der SPD mit seiner Agenda 2010 vornahm. Er vollzieht sich nur unter umgekehrten Vorzeichen. Zerreißen wird es die CDU deshalb nicht. Nicht nur wegen ihres überbordenden Machtpragmatismus, sondern auch, weil es eine Rückkehr zu eigenen, sozialpaternalistischen Wurzeln ist - und nicht zuletzt, weil Merkel sich dazu zwingen ließ.

Bei der SPD erwies sich die programmatische Verrenkung aus Erfurt langfristig als nicht erfolgreich. Die Partei eilte zwar von Wahlsieg zu Wahlsieg, wusste aber nichts damit anzufangen. Ganz ähnlich könnte es nun auch Merkel gehen. Ein Konjunkturprogramm, bei dem die Befriedung von Koalition und eigener Partei wichtiger ist als die ökonomische Wirksamkeit, mag ein erfolgreiches Rezept für den Wahltag sein. Wenn danach die Rechnung in Form hoher Staatsschulden präsentiert wird, gilt das jedoch nicht mehr.

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2 Kommentare

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  • TF
    Torsten Franke

    Die NachDenkSeiten zu dem Gefasel "unserer" Kanzlerin (wie sie propagandistisch-menschelnd in vielen Medien genannt wird) in deren Neujahrsansprache:

     

    Merkel:

    „Der Staat ist der Hüter der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung. Der Wettbewerb braucht Augenmaß und soziale Verantwortung. Das sind die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Sie gelten bei uns, aber das reicht nicht.“

     

    Anmerkung NachDenkSeiten:

    Wo und vor allem wie hat unter der Großen Koalition der Staat die wirtschaftliche Ordnung gehütet? Solche Sätze kann man nur sagen, wenn man die Tatsache negiert, dass der Staat beim Entstehen der Krise völlig versagt hat. Wo hat er für Augenmaß und soziale Verantwortung im Wettbewerb gesorgt? Hat die Politik nicht umgekehrt sogar aktiv betrieben, dass Augenmaß und soziale Verantwortung verloren gegangen sind? Sind nicht seit Jahren, die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft durch den Abbau des Sozialstaats systematisch untergraben worden?

     

    Merkel:

    „Diese Prinzipien müssen weltweit beachtet werden. Erst das wird die Welt aus dieser Krise führen. Die Welt ist dabei, diese Lektion zu lernen.

    Und das ist die Chance, die in dieser Krise steckt, die Chance für internationale Regeln, die sich an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft orientieren. Ich werde nicht locker lassen, bis wir solche Regeln erreicht haben.“

     

    Anmerkung NachDenkSeiten:

    Es ist doch geradezu grotesk, dass die Kanzlerin die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft nun „weltweit“ einführen will. Wurden nicht bis vor kurzem mit dem Hinweis auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit die Prinzipien des wirtschaftsliberalen angelsächsischen Modells als Vorbild dargestellt und die Entstaatlichung, die Privatisierung, die Deregulierung, der Abbau von Sozial- und Arbeitsstandards propagiert und durchgesetzt. Was soll die Welt, was sollen unsere Nachbarn in Frankreich, in Italien oder in den Niederlanden von Deutschland lernen, außer Steuersenkungen, Senkungen der Abgaben, der „Lohnnebenkosten“ und der Löhne, die Privatisierung von Leistungen der Daseinsvorsorge und der sozialen Sicherungssysteme.

    Dass Merkel nicht locker lassen will, diese „Regeln“ durchzusetzen, muss eher als Drohung und Bedrohung für unsere Nachbarn verstanden werden denn als Vermeidungsstrategie gegen zukünftige Krisen.

     

    Eine ergänzende Anmerkung meinerseits:

    Sie schreiben in ihrem Kommentar zu den Folgen der angeblich neuen sozialstaatlichen Ausrichtung Merkels:

     

    "Ein Konjunkturprogramm, bei dem die Befriedung von Koalition und eigener Partei wichtiger ist als die ökonomische Wirksamkeit, mag ein erfolgreiches Rezept für den Wahltag sein. Wenn danach die Rechnung in Form hoher Staatsschulden präsentiert wird, gilt das jedoch nicht mehr."

     

    Diese Anmerkungen passen wesentlich besser zu dem kürzlich von der Bundesregierung beschlossenen Skandal der Senkung der Erbschaftsteuer! Die Vermögensteuer wurde hierzulande ja schon vor Jahren abgeschafft. Die staatlichen Einnahmen aus der Erbschafts-, Vermögens- und Grundsteuer in Prozent des Bruttoinlandsprodukts bewegen sich in Deutschland im internationalen Vergleich schon vor der kürzlich beschlossenen Senkung der Erbschaftsteuer auf skandalös niedrigem Niveau:

    - Deutschland 0,9%

    - OECD-Durchschnitt 1,9%

    - EU-Durchschnitt 2,1%.

     

    Hier werden von Merkel und Co. Milliardenbeträge sinnlos den Besitzern und Erben großer Vermögen in den Rachen geworfen. An dieser Stelle wäre Ihr Hinweis zu den hohen Staatsschulden wesentlich eher angebracht!

  • A
    Amos

    Wenn man den Buckel voller Schulden hat, wie kann

    man dann in 11 Ländern Soldaten stationieren.

    Wie kann man dann mit 4 Leibwächtern durch die

    Gegend laufen. Wie kann man dann solch dicke Autos

    fahren. Wie kann man sich trotz Beraterpöstchen

    ständig die Diäten erhöhen? Mir kann man erzählen,

    was man will- aber die haben sie einfach nicht mehr

    alle- sind abgehoben und nicht einsichtig. Das sollen Volksvertreter sein- da muss man ja laut lachen.