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Kommentar JugendsexualitätDie Seele schützen

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die neuen Daten über Jugendsexualität sind beruhigend. Denn sie zeigen, dass die Jugend trotz Pornowelle im Internet ihre Sexualität als etwas Privates betrachten.

E s ist eine beruhigende Botschaft, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verkündet wurde - auch wenn man das vor drei Jahrzehnten wohl noch anders empfunden hätte: "Sexuelle Aktivitäten gehen zurück", melden die Gesundheitsforscher mit Verweis auf eine Befragung unter Teenagern im Alter zwischen 14 und 17 Jahren.

Ein Drittel der 17-Jährigen hat noch nicht mit jemandem geschlafen. Der Trend zum Sex in immer jüngerem Alter ist zum ersten Mal seit vielen Jahren rückläufig.

Die Botschaft ist natürlich nicht deswegen beruhigend, weil es irgendwie moralischer ist, wenn Jugendliche heute weniger Sex haben als noch vor fünf Jahren; sondern weil es Teenagern offenbar gelingt, ihre eigene Sexualität als etwas ganz Privates zu behandeln.

Bild: taz

BARBARA DRIBBUSCH ist Redakteurin für Soziales im taz-Inlandsressort.

Auch wenn im Hintergrund Rapmusik läuft, in der Analsex bejubelt wird und im Internet tausende von Pornos zum Herunterladen zur Verfügung stehen. Alles nur Show.

Ganz oben auf der Liste der Gründe, warum man noch keinen Sex hatte, steht bei den Jugendlichen das Fehlen des richtigen Partners oder der richtigen Partnerin. Dann spielt auch die Schüchternheit, die Angst, etwas falsch zu machen, eine große Rolle.

Bei den Jungs ist dieser zweite Grund ebenso gewichtig wie der erste, auch bei den Teenagern mit Migrationshintergrund.

Viele Jugendliche schätzen den Schutz einer festen Beziehung für das "erste Mal". Das macht auch Sinn: Die Sexualität ist eins der verletzlichsten Gebiete der Seele. Dieser Aspekt wurde in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt.

Und deshalb geht es statt um Entgrenzung heute eher um Abgrenzung. Auch gegenüber der Elterngeneration. Diese, oft Abkömmlinge der Post-68er-Zeit, erleben heute, dass ihr pubertierender Nachwuchs mit ihnen über alles reden will, aber nicht über Sex, bitte. In einer Zeit überbordender öffentlicher Diskurse über das Private besteht die neue Subversion eben darin, das Intime auch intim sein zu lassen.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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5 Kommentare

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  • A
    antifaschist

    Ich finde diese Studie erschreckend, denn sie zeigt einmal mehr, das die Homophobie gesellschaftlich akzeptiert ist. Mit keinem Wort wird auch nur ansatzweise die Situation Homosexueller jugendlicher erklärt. So als ob es sie nicht gäbe.

     

    Damit wird es auch so bleiben, das die Suizidrate unter homosexuellen jugendlichen 6x höher ist als die bei gleichaltrigen heterosexuellen, so wird es so bleiben, das "Schwuchtel" einens der beliebtesten Schimpfwörter auf Schulhöfen bleibt.

     

    Es muss sich grundlegend etwas ändern!

  • S
    systemix

    Na, das ist doch einmal eine gute Nachricht. Diese Jugend von heute ist ja gar nicht so schlimm. Sie ist ja so herrlich altmodisch. Wirklich?

     

    Solche Untersuchungen werden nie ein repräsentatives Ergebnis zeitigen. Für wie blöd werden die Jugendlichen eigentlich gehalten? Sich mit "soner Sozialtante" über das eigene Sexleben unterhalten und womöglich noch was preisgeben? Niemals. Wenn man unter sich ist, dann wird geprahlt, gefachsimpelt oder einfach nur zotig daher geredet. Die Pornoclips sind im verschlüsselten Ordner abgelegt und nur ganz selten wird öffentlich zugegeben, dass man sich Pornos anschaut. Es ist ja zugleich ein Eingeständnis, dass die betreffende Persones es nötig hat.

     

    Es geht in der Unter- und Mittelstufe weiter zotig im Unterricht daher. Pubertät verlangt Opfer. Außerdem wissen wir ja nun auch dank des "Stern", dass die hemmungslosen Sexorgien mit Eltern und Kindern ja sowieso nur in der Unterschicht stattfinden, wo HARTZ IV - Empfänger auch sonst nichts zu tun haben. In diesem Sinne bestätigt das ebenfalls der Experte für Rassehygiene Thilo Sarrazin. Also ist die gute Bürgerlichkeit, der Anstand, wieder gerettet.

     

    Deshalb brauchen wir ja dann auch nichts für die sexuelle Entwicklung der Kinder zu tun. Sie leben schön keusch und lassen uns auch auf diesem Gebiet in Ruhe. Das hatte ja bereits die abgewählte CDU/FDP-Landesregierung in NRW erkannt und sämtliche Mittel zum Beispiel zur Aufklärung über Homosexualität gestrichen. Das ist wohl der eigentliche Sinn solcher Studien - Geld sparen.

     

    Nun gelten weiterhin unter Schülern "Schwuchtel" und "Schlampe" als beliebteste Schimpfwörter. Dazu gibt es dann den kirchlichen Beistand aus Essen.

     

    Eine Empfehlung wäre auszusprechen. Die Gelder für solche Studien in der Jugendarbeit dort einzusetzen, wo Jugendliche unter ihrer sexuellen Orientierung leiden und diskriminiert werden. Die selbst ernannten "Jugendsexperten" sollten die Arbeit lieber denen überlassen die täglich damit konfrontiert werden und besser die Probleme von Kindern und Jugendlichen verstehen.

  • R
    Reiner

    Schnelle Bewertung!

     

    Die Analyse greift sehr kurz und ist fast populistisch. Der Trendumkehr ist erst Mal ein Fakt der Befragung. Doch wie kommt es zur Analogie späterer Sexualkontakt gleich mehr Privatsphäre? Was belegt diese Annahme? Es könnten doch auch andere Gründe dafür verantwortlich sein, dass die Fakten so sind. Und ich frage mich, was es bedeutet, wenn Teenager Angst haben, Unsicherheit empfinden und(!) darüber nicht reden. Überlassen wir doch die jungen Menschen am besten gleich sich selbst! Eltern, die als Ansprechpartner gar nicht vorkommen, weil sie arbeiten müssen oder für die Kinder noch schwieriger, wenn die alleinerziehende Mutter nach ihrem Zweit- oder Drittjob nach Hause kommt und das Kind schon längst im Bett ist. Und ist es wirklich wünschenswert, dass Teenager mit Migrationshintergrund Angst vor gelebter Sexualität haben und dies insbesondere vor dem Kontext, dass in vielen Kulturkreisen das Thema Sexualität restriktiver behandelt wird? Ist Angst effektiver Seelenschutz? Und ist Angst im Sinne der selbst erfüllenden Prophezeiung ebend doch die beste Einladung, schlechte Erfahrungen zu machen?

     

    Ich würde mich freuen, wenn Jugendliche sich aus einem Gefühl der Stärke (nicht Überheblichkeit), des Vertrauens und der Sicherheit Ihrer Sexualität widmen. Und wenn sie über Ihre Erfahrungen sprechen, mit einem Partner, dem sie sich anvertrauen mögen. Das sich selbst entdecken, also seine Sexualität entdecken mit einem Partner, sollte doch in der heutigen Zeit nicht mehr mit Gefühlen von Angst oder "falsch machen" verbunden werden. Umso erschreckender ist es doch, dass dem noch so ist.Und die eigentliche Frage ist doch immer noch die, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn wir es ganzen Generation verweigern, Angstfrei mit dem Selbst umzugehen. Und nicht zuletzt fehlt mir der Bezug zu anderen Studien über Teenager, zum Beispiel über deren Drogen- und Alkoholkonsum. Auf keinen Fall kann ich die genannte Ambivalenz zwischen zunehmender sexistischer Überschüttung des Individuums, im Sinne von ausbeuterischer Zurschaustellung, zu der Trendumkehrung als im Grunde beruhigend empfinden. Mich beunruhigt diese „Ruhe“.

  • GB
    Georges Bataille

    Sentimentaler Quatsch...Die Jugend war immer schon so notgeil wie heute, nur ist es heutzutage entgegen der Studie nicht einfacher geworden, sich mit seinem Körper, seinen Phantasien und Gelüsten und den Parametern Der Identitäten besser anzufreunden.

     

    Da wir jetzt ja alle auf die 50er Jahre eingestimmt werden sollen, hoffe ich, dass die neuen Revolten und die richtige befreiende Enthemmungen nicht weit entfernt sind.

  • AS
    Andreas Suttor

    Leider eine völlig verfehlte Einschätzung dieser neuen Daten über Jugendsexualität. Nicht Abgrenzung des Privaten, sondern neue Spießigkeit ist das Motto - und ich weiß als Vater zweier gerade erwachsen werdender Teenagertöchter, wovon ich rede. Und diese Spießigkeit wird Folgen haben, die wir schon längst überwunden glaubten. Wenn Sex und Liebe unnötigerweise wieder identisiert werden, werden wir wieder vermehrt Eifersuchtsdramen und Midlife-Menschen beobachten, die sich zu Unzeitpunkten fragen, ob das schon alles war. Willkommen zu Beginn der 50er Jahre!