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Kommentar Intervention in LibyenDie Freiheit der anderen

Kommentar von Micha Brumlik

Völkerrechtlich ist eine Militärintervention in Libyen unzulässig. Aber denkbar wäre, die Revolutionsregierung eines libyschen Teilstaats anzuerkennen und mit Waffen zu beliefern.

D er aus einem antityrannischen Aufstand erwachsene libysche Bürgerkrieg scheint derzeit in einem Patt zu stehen. Während die Weltgemeinschaft Gaddafi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagen will, ist ein militärischer Sieg der einen oder anderen Seite nicht in Sicht. Dafür hat sich ein Flüchtlingsproblem ungeahnten Ausmaßes entwickelt, das der Westen pflichtschuldig zu lösen versucht.

Die Wucht dieser humanitären Krise, die derzeit noch mit rein logistischen, nichtmilitärischen Mitteln mindestens gelindert werden kann, schenkt dem Westen eine Atempause, in der er das entscheidende politisch-moralische Problem umgehen kann.

Kann, soll und darf sich der Westen militärisch - und sei es "nur" mit einer vom Sicherheitsrat verhängten Flugverbotszone - in diesen Bürgerkrieg einmischen? Realpolitisch, mit Blick auf absehbare Folgen und nicht kalkulierbare Nebenfolgen, verbietet sich jede militärische Einmischung. D

Bild: imago/Horst Galuschka

MICHA BRUMLIK ist Publizist und Professor an der Uni Frankfurt am Main

as andauernde Desaster in Afghanistan, der Murks im Kosovo und der amerikanisch-britische Angriffskrieg gegen den Irak haben eindeutig bewiesen, dass derartige Kriege weder politisch noch militärisch zu gewinnen sind. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob nicht mindestens eine moralische Pflicht, die libyschen Rebellen zu unterstützen, besteht. Immerhin kämpfen sie in einem unverkürzten Sinn für die Freiheit von der Tyrannei, immerhin lassen sie es mindestens für möglich halten, dass dort eine Demokratie, eine Republik entsteht.

Auch Klugheitsgründe könnten für eine Intervention sprechen: Würden die siegreichen Rebellen dem Westen fortgesetzte Tatenlosigkeit nachsehen? Würde diese Tatenlosigkeit des Westens nicht ein weiteres Mal beweisen, dass das lauthals vorgetragene Eintreten für Demokratie und Menschenrechte nur Ideologie ist? Und so ein weiteres Mal den Islamismus stützen?

Nach den derzeit geltenden völkerrechtlichen Prinzipien ist eine "positive", auf die Herstellung von Demokratie und Republik zielende militärische Intervention aufgrund der Souveränität der Staaten nicht zulässig. Zulässig wäre sie nur - im Rahmen einer sich herausbildenden responsibility to protect - aus "negativen", abwehrenden Gründen, also zur Verhinderung genozidaler Taten einer Partei gegen Teile der Bevölkerung.

Derlei genozidale Verbrechen aber scheint Gaddafi derzeit nicht zu begehen; zudem werden zivile Opfer bei Bombenangriffen - siehe Israels Angriff auf Gaza, siehe Afghanistan - schließlich allseitig als "Kollateralschäden" hingenommen und nicht als Ausdruck genozidaler Politik bewertet.

Eine direkte militärische Intervention zugunsten der Aufständischen verbietet sich also aus realpolitischen und völkerrechtlichen Gründen. Das heißt aber nicht, dass der Westen, die EU, also auch Deutschland die Hände in den Schoss legen und sich auf das Retten von Flüchtlingen beschränken müssen. Immerhin wäre es denkbar, eine demnächst gebildete Regierung der libyschen Revolution sogar dann anzuerkennen, wenn sie noch nicht das ganze Territorium beherrscht.

In diesem Fall wäre es nur konsequent, dieser Regierung Waffen, vor allem Luftabwehrsysteme zu liefern, die den Druck von Gaddafis Luftwaffe mildern, wenn nicht sogar neutralisieren könnten. Im Zuge der demokratischen Transformation in Tunesien und Ägypten würde ein demokratischer libyscher Teilstaat mittelfristig nicht nur Legitimität, sondern sogar Attraktivität für die jetzt von Gaddafi beherrschte und bestochene Bevölkerung entwickeln.

Sofern die Weltgemeinschaft dann noch die Konsequenzen der internationalen Strafverfolgung Gaddafis eisern trägt und dessen Restregime konsequent boykottiert, dürften gute Chancen bestehen, diesen Despoten mittelfristig zum Aufgeben zu zwingen.

Über eines freilich muss man sich im Klaren sein: Auch eine solche unterhalb der Schwelle militärischer Intervention betriebene Politik dürfte das Anschwellen der Flüchtlingsströme verstärken und darüber hinaus den Benzinpreis merklich steigen lassen - mit Auswirkungen auf den wirtschaftllichen Aufschwung und Arbeitsplätze. Sind die Bevölkerungen und politischen Klassen der EU, Deutschlands bereit, diesen Preis zu zahlen? Ist uns die mögliche Freiheit der anderen so viel wert?

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Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“
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10 Kommentare

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  • MF
    Manfred Führer

    Herr Brumlik reiht sich mit diesem Artikel in die Phalanx der grünen Militärinterventionisten ein, die schon in Afghanistan und Kosovo auf Lügen basierend die dortigen Einsätze mit in die Wege leiteten.

     

    Die Medien berichten nicht ganz die Wahrheit über die Rebellen in Lybien und viele der Greueltaten in Lybien, die Gaddhafi in die Schuhe geschoben wurden, sind von den Rebellen begangen worden.

     

    Zu denken gibt auch, dass die USA laut Nato-General Wesley Clark den Einsatz in Lybien schon 10 Jahre vorher geplant hatten.

     

    In Wirklichkeit geht es:

     

    1. um die Reprivatisierung der Ölrecourcen

     

    2. um die Interessen der französischen Konzerne Veolia und Compagnie de Suez an dem größten Süßswasservorkommen der Welt unter der Sahara

     

    3. um die geostrategische Bedutung Lybiens (Verbindung zu Tschad und Kongo)

     

    Es wäre weiter zu fragen, warum Herr Brumlik bei folgenden Konflikten die Menschenrechte nicht in Gefahr sieht:

     

    Bahrein, Elfenbeinküste, Gaza und Jemen

     

    Und noch eine Bemerkung:

     

    Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit!

  • GM
    Gute Mensch Von Setchuan

    Darf man die Massenmorde eines Tyrannen auch unterhalb der Schwelle zum Genozid verhindern helfen? Sollte man Ghaddafis Morde, Hinrichtungen, Lager, Folter u. andere Verbrechen der Vergangenheit einfach ignorieren ( Gefängnisse, wo die Menschen wie Tiere gehalten werden, neue Lager für afrik Flüchtlinge - Lockerbie, Überfall auf Opec).

     

    Mr. Speaker - w i r haben Gaddafi die Waffen geliefert, müssen wir jetzt nicht unsere Irrtümer korrigieren?

     

    Zählt jetzt nicht vor allem, dass dieser Volksaufstand so schnell wie möglich über Luftabwehrsysteme und Waffen

    verfügt?

    (Der Murks im Kosovo und in Bosnien hatte u.a. damit zu tun, dass viel zu spät reagiert wurde und idiotischerweise

    ein allgemeines Waffenembargo verhängt wurde, der es Schlächtern wie Milosevic, Seselj und Arkan erlaubte, ihren Genozid fortzusetzen. So waren die Menschen angesichts ethnischer Säuberungen und der dreijährigen Belagerung Sarajevos nur an wenigen Orten in der Lage, sich selbst zu verteidigen (Milosevic hatte sich das Arsenal der jugosl. Volksarmee unter den Nagel gerissen).

  • P
    Prema

    Europa steht vor einem Dilamma: Gadaffi hat durchaus recht, sich zu wundern, weshalb man ihn jetzt so schmählich im Stich lässt, es war doch noch vor Tagen ganz anders! Die Angehörigen der politischen Klasse Europas haben sich bislang mit ihm ins Bett gelegt, das war schön warm, dank des Öls; heiß wird es erst jetzt, da die Gesinnungsethiker (insbesondere der jungen arabischen Welt mit ihrer Forderung nach Menschenrechten)dem Gewissen einheizen.

     

    Es hat reichlich lange gedauert, bis man sich in Europa dazu entschloss, endlich den Internationalen Gerichtshof einzuschalten. Allerdings stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit dieser Maßnahme. Zunächst hat dieser Schritt nach meiner Meinung reinen Symbolcharakter.

     

    Es ist schwierig, in der gegenwärtigen Lage, eine Entscheidung zu treffen, die der Situation in Libyen und der übrigen arabischen Welt gerecht wird. Andere arabische Staaten haben sich gegen ein Eingreifen des Westens ausgesprochen. Die Erfahrungen mit dem Krieg gegen den Irak und die Entwicklung in Afghanistan zeigen, dass es keine einfache Lösung gibt. Zumal der Ölpreis ein schlagendes Argument darstellt.

    Das sogenannte "Statebuilding" ist bei Politikwissenschaftlern mittlerweile umtritten, das dürfte sich bis zu denen herumgesprochen haben, die über militärische Einsätze entscheiden müssen.

     

    Die einzig vertretbaren Maßnahmen sind solche, die dem Machthaber rechtzeitig die Mittel entziehen, gegen die Bevölkerung seines Landes mit Waffengewalt vorzugehen. Den Zeitpunkt hierfür hat Europa vermutlich verpasst. Nun sollte alles darangesetzt werden, humanitäre Hilfe zu leisten.

  • R
    reliable

    Es ist schon eine eigenartige Konstellation. Diese Onlineausgabe der Taz will in anderen Foren und Berichten die Personalgewinnung der Bundeswehr in Frage stellen. Gleichzeitig wird neben dem Kommentar von MICHA BRUMLIK die Entscheidung des Tages zum Voting veranlasst. Die Fragestellung heute: …Soll die Nato eingreifen und zumindest den Luftraum über Libyen sperren und überwachen? Ich selbst habe mich wie annähernd 58% (zum Zeitpunkt meines Blogs) für ein sofortiges Eingreifen entschieden. Der Kommentator stellt die Aufrüstung der Opposition mit Luftabwehr zur Diskussion. Jetzt stellt sich nur noch die Frage, wo die GenossInnen sind, die sich für eine militärische Intervention entschieden haben. Für ein zukünftiges Eintreten für deutsche bzw. europäische Außen- und Sicherheitspolitik erhalten diese 58% umfangreiche Hinweise zu Ihrer Teilhabemöglichkeit auf der Homepage www.bundeswehr-karriere.de.

  • JO
    Jürgen Orlok

    Der Herr Professor sieht also eine potentielle Demokratie in Lybien !

    Soweit ich es überblicke, wird die Fahne des alten Königreichs von westlichen Gnaden geführt ...

     

    "...der amerikanisch-britische Angriffskrieg gegen den Irak ..."

    Das zeigt doch die Qualität von Demokratie , der amerikanischen , britischen , französischen ...

     

    Und das macht diese Form so wünschenswert für die Welt ???

    Der eigentliche realpolitische Grund wird immerhin genannt :

    DAS ÖL , das vornehmlich im Osten liegt ...

  • B
    Beobachter

    Kommen dann eigentlich auch dien westlichen Staatsmänner in DenHag vor Gericht, die die Hunderttausenden Toten durch westliche Kriege im Irak und Afghanistan zu verantworten haben?

     

    Und kommen israelische Politiker vor Gericht, die dann Massentötungen unbewaffneter pal. Zivilisten die Schuld tragen.

     

    Ein billiges und leicht zu durchschauendes Spiel mit Propaganda und Doppelmoral.

     

    Wie immer!

  • E
    exgutmensch

    Micha Brumlik? Der weint doch immer bei kleinsten Kleinigkeiten herum? Und jetzt will er den Waffenlieferanten für das Gute machen? Hihi.

    Nein Michalein, Nordafrika + Arabien sind vollgestopft mit (unseren) Waffen. Jedes Kaff ist da schwerer bewaffnet als unsere poplige Bundeswehr.

  • S
    Schattenfels

    Früher schrieben Sie für die konkret, jetzt für die "Zeitung für den alternativen Antisemiten" (Gremliza)... Wie tief kann man sinken?

  • HL
    Hauke Laging

    Es ist doch offensichtlich riskant, dass ein Erziehungswissenschaftler sich über die rechtliche Bewertung militärischer Einsätze auslässt und als zulässige Alternative Waffenlieferungen anpreist.

     

    "Der Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung", heißt es so schon, hier ins Kriegswaffenkontrollgesetz (§ 6); Wikipedia reicht:

     

    "Paragraph 6 des KrWaffKontrG verbietet unter anderem die Lieferung von Waffen an einen anderen Staat, wenn die Gefahr besteht, dass die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden. Die Lieferung von Kriegswaffen in Krisengebiete ist damit untersagt."

     

    Wie die Juristen aus dieser Formulierung das generelle Verbot einer Lieferung in Krisengebiete herauslesen, ist mir schleierhaft, aber offenbar ist das die herrschende Meinung. In diesem Fall wäre zudem das Risiko offensichtlich, dass die Rebellen mit der hinzugewonnenen Hightech-Feuerkraft im Rücken auch offensiv tätig würden (ja, auch Flugabwehr kann offensiv sein, etwa beim Decken eines Vormarsches).

     

    Diese ganze Rechtsdiskussion ist an Heuchelei nicht zu überbieten. Wir verlangen für unser gutes ("pazifistisches") Gewissen, dass noch ganz viele libysche Widerständler und Zivilisten krepieren. Ein Hoch auf die europäische Moral. Hier wird jemand geschützt, gegen den offiziell wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt wird. Die NATO sollte dieser Verbrecherhorde zwölf Stunden Zeit geben, ihre Waffen niederzulegen, und sie anschließend so entschlossen ausschalten, dass das nächste von seinem Volk herausgeforderte Regime keinerlei Lust mehr verspürt, auf die eigenen Leute schießen zu lassen.

  • A
    andyconstr

    Die Frage nach moralischer Pflicht stellt sich meines

    Achtens gar nicht.Der Tatvorwurf Völkermord liegt aus UN Sicht nicht vor, somit gibt es keine moralische Pflicht, aus den derzeitigen moralischen Vorstellungen her, zu intervenieren.

    Also gibt es eigentlich nur zwei Optionen, entweder man unterstützt aus ideellen Gründen den Freiheitskampf eines arabischen Volkes,

    oder man nützt die rechtliche Option und wird des Volksmörders habhaft, womit wahrscheinlich alles erledigt wäre, denn damit wäre die Diktatur weg und der Grund für einen Bürgerkrieg mit ziemlicher Sicherheit auch.Dann müsste man allerdings auch andere Personen verfolgen die weltweit Demonstranten und Bürger erschießen lassen.Man sollte eigentlich meinen derartiges wäre in einer zivilisierten Welt völlig normal, doch weit gefehlt, Mubarak scheint wohl auch nicht international verfolgt zu werden.

    Aber die Zeit in der man sein Volk niederschießen konnte ist nun endgültig vorbei und die Zeit der Despoten und Regime geht immer mehr zu Ende.