Kommentar Hugo Chávez: Sozialpolitik und Allmachtgelüste
Im Referendum erntet Chavez die Früchte seiner Sozialpolitik. Aber statt den "Sozialismus den 21.Jahrhunderts" demokratisch oder ökologisch zu gestalten, gibt er sich Großmachtfantasien hin.
Gerhard Dilger ist Südamerika-Korrespondent der taz.
Mit der am Sonntag gebilligten Verfassungsänderung ist Hugo Chávez seinem Lebensziel ein gutes Stück näher gekommen. Der sendungsbewusste Volkstribun aus Venezuela darf sich nun im Sechsjahresrhythmus wiederwählen lassen. Und zumindest für 2012 scheint sein Optimismus berechtigt: Millionen arme VenezolanerInnen haben in den letzten Jahren eine spürbare Verbesserung ihres Lebensstandards erfahren.
Eine ordentliche ärztliche Versorgung, sauberes Trinkwasser, reale Bildungschancen sind in den Armenvierteln des südamerikanischen Öllandes Normalität geworden. Für die Betroffenen ist das tatsächlich eine Revolution. Die enorme Kluft zwischen Arm und Reich verringert sich in Venezuela dank Chávez schneller als in den Nachbarländern.
Doch noch überwiegen die Gemeinsamkeiten mit den Anrainern, und sie beherrschen auch im "roten" Venezuela den Alltag: etwa die wuchernde Gewaltkriminalität, die jahrhundertelang gewachsene Abhängigkeit vom Rohstoffexport oder die ungenierte Korruption einer neuen Staatsklasse. Aus diesen Übeln zieht die bürgerliche Opposition ihre Zuversicht - und aus der Hoffnung, dass nach dem Verfall des Erdölpreises die angehäuften Währungsreserven bald aufgebraucht sind.
Hinzu kommt die späte Einsicht, dass sich die Beteiligung am demokratischen Ringen mehr auszahlt als Putschgelüste, Sabotage oder Wahlboykott - immerhin scheiterte Chávez mit seinem Versuch, einen autoritären Sozialismus in der Verfassung festzuschreiben, und ab 2011 dürfte die Rechte wieder prominent im Parlament vertreten sein.
Bis zu dieser Wahl wäre Zeit, mehr als kosmetische Korrekturen in der konkreten Ausgestaltung des "bolivarianischen" Projekts vorzunehmen. Doch nichts deutet darauf hin, dass Chávez die Spannung zwischen Staatsdirigismus und der Partizipation der eigenen, oft radikaleren Basis zugunsten Letzterer auflösen möchte. Aus seiner erfolgreichen Öldiplomatie hat er einen falschen Schluss gezogen: Statt einer radikaldemokratischen oder ökologischen Ausrichtung seines "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" bietet er - Großmachtfantasien.
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