Kommentar Hirtenbrief: Ungebrochene Papstperspektive
Der Kern des Skandals bleibt trotz Hirtenbrief: Der Papst scheut trotz aller warmen Worte für die Opfer nach wie vor eine Debatte über die Sexualmoral der Kirche.
M an kann den Hirtenbrief des Papstes rein innerkirchlich lesen - und da fiele schon wohltuend die Empathie des Papstes für die Missbrauchsopfer, die deutliche Mahnung an die irischen Bischöfen und die Selbstkritik bezüglich der Priesterausbildung und der "Favorisierung" der Kirche in der Gesellschaft auf. Außerdem wäre darauf zu verweisen, dass der Papst sich als Kopf einer Gemeinschaft von 1,1 Milliarden Menschen so gut wie nie entschuldigt, da er ja dann für die ganze Kirche als Institution sprechen würde. Der Papst sieht aber die Missbrauchsfälle eben nicht als Versagen einer Struktur, sondern einzelner Kirchenmitglieder.
Hier sollte jedoch das innerkirchliche Verständnis für den Hirtenbrief enden. Denn Vorrang hat in diesem Fall die Perspektive der tausenden Opfer in Irlands Kirche. Und die können sehr wohl ein klares Wort der Entschuldigung des Papstes verlangen. Das gab es nicht, auch wenn dies die hiesige Kirche und konservative Medien gerne behaupten. Wer, wenn nicht die Leiter einer Kirche in der Nachfolge Jesu sind zu einer Bitte um Vergebung geradezu verpflichtet?
Der Kern des Skandals bleibt weiter: Der Papst scheut trotz aller warmen Worte für die Opfer nach wie vor eine Debatte über die Sexualmoral der Kirche. Und man kann nur hoffen, dass sein öffentliches Schweigen über die Missbrauchsfälle in Deutschland nicht am Ende darin begründet liegt, dass er als Erzbischof von München selbst in einem Missbrauchsfall eine mehr als unglückliche Figur machte. Um es vorsichtig zu sagen. Auch hier gilt, was der Papst in seinem Hirtenbrief zwar anspricht, aber offenbar nur auf andere münzt. Es ist ein kluges Wort aus dem Johannesevangelium und lautet: "Und die Wahrheit wird euch frei machen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga