Kommentar Hessenwahl: Keine Krawallschachtel-Konservativen
Das Ergebnis der Hessenwahl ist ein Sieg für die demokratische Kultur: Die Wähler lassen sich mit Angstwahlkämpfen nicht mehr einfangen.
R oland Koch hat mehr als 12 Prozent verloren. Das ist die gute Nachricht dieser Wahl. Und es ist eine ziemlich eindeutige Botschaft an die CDU.
Stefan Reinecke (48) lebt in Berlin-Kreuzberg, war früher Redakteur der taz-Meinungsseite und ist seit fünf Jahren Autor der taz. Er beschäftigt sich vor allem mit Innenpolitik, Parteien und Geschichtspolitik.
Kochs plumpes Kalkül ist nicht aufgegangen. Die scharfe Rhetorik gegen jugendliche Migrantenkriminalität und die unverfroren deutschtümelnden Plakate gegen "Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten" haben der hessischen CDU nichts gebracht. Vielleicht hat sie sich mit dieser Kampagne sogar geschadet. Dass dieser üble Populismus nicht gezündet hat, ist in jedem Fall ein Sieg für die demokratische Kultur. Er zeigt, dass sich die Wähler, anders als 1987, als Walter Wallmann gewann, und 1999, als Koch siegte, mit Angstwahlkämpfen nicht mehr einfangen lassen. Mit Minderheitenbashing Mehrheiten organisieren - diese Allzweckwaffe der Konservativen funktioniert nicht mehr. Mal sehen, ob die CDU-Zentrale diese Lehre aus der Hessenwahl beherzigt.
Befördern müsste diese Erkenntnis auch der Blick nach Niedersachsen. Dort hat Christian Wulff die Wahl gewonnen, auch wenn er Prozente verloren hat. Wulff hat sich konziliant gegeben und die Mitte besetzt. Die Botschaft der Wähler an die Union lautet: Bitte keinen Krawallschachtel-Konservativismus!
Für die SPD ist das Resultat ebenfalls leicht zu entziffern. Wer wie Wolfgang Jüttner versucht, sich auch noch in die Mitte zu drängeln, geht unter und wird mit dem Einzug einer starken Linkspartei ins Parlament bestraft. In Hessen indes hat Andrea Ypsilanti mit ökosozialem Profil und der Bildungsgerechtigkeit die SPD aus dem politischen Wachkoma geführt. Über Hessen hinaus zeigt Ypsilantis Gewinn: Es gibt wieder eine ernst zu nehmende SPD-Linke. Seit Jahren führt sie ein Schattendasein, ihre Sprecher waren melancholische Figuren wie Ottmar Schreiner, die Niederlagen einsammelten. Ypsilanti & Scheer haben jetzt gezeigt, dass man mit einem ökosozialen Reformprogramm gewinnen kann.
Für die Republik bedeuten die beiden Ergebnisse: Das Fünfparteiensystem mit der Linkspartei ist Normalität geworden. Und Kurt Beck wird die SPD weiter für Gerechtigkeitsthemen öffnen. Wenn er klug ist, noch viel stärker als bisher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind