Kommentar Hessens Linkspartei: Alles auf Rot
Hessens Linke hat schnell begriffen, dass sie zur Sekte schrumpfen wird, wenn sie Rot-Grün verhindert. Doch dass Ypsilanti tatsächlich gewählt wird, ist alles andere als sicher.
Stefan Reinecke ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.
Wenn alles gut geht, hat Hessen in drei Monaten eine neue Regierung. Und Andrea Ypsilanti wird Chefin einer rot-grünen, von der Linkspartei tolerierten Minderheitsregierung sein. An der Linkspartei, so die Botschaft des Parteitags in Lollar, wird dieser Plan nicht scheitern. Die hessische Linkspartei ist zwar noch von Oppositionsmentalität durchtränkt, aber sie hat einen Schnellkurs in Realitätstüchtigkeit absolviert und begriffen: Wenn sie Rot-Grün verhindert, wird sie bei Neuwahlen untergehen und zur Sekte schrumpfen.
Aber es geht in Hessen um viel mehr als um die Befindlichkeit der Linkspartei. Kann eine rot-grüne Minderheitsregierung funktionieren? Die Antwort lautet: Die entscheidende Hürde wird die geheime Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin sein. Ein unzufriedener SPD-Rechter, ein schlecht gelaunter Grüner oder Linksparteipolitiker reicht, um Rot-Rot-Grün in Wiesbaden zu versenken. Dieses Risiko ist schwer zu kalkulieren. Und wenn es schiefgeht, wird der Fall sehr tief. Vor allem für die SPD.
Wenn Ypsilanti aber gewählt wird, dann kann eine rot-grüne Minderheitsregierung durchaus zu einem stabilen, soliden Bündnis reifen. Denn was bei der ideologisch hochgerüsteten Debatte oft übersehen wird, ist, dass SPD, Grüne und Linkspartei in den landespolitischen Kernfragen - von der Energie- über die Sozial- bis zur Schulpolitik - nicht allzu viel trennt. Es gibt zwar auch, etwa beim Flughafenausbau, harte Differenzen - aber keine, die kluge, kompromissbereite Politiker vor unlösbare Aufgaben stellt. Rot-Rot-Grün kann in Hessen, noch immer, zu dem Beweis dafür werden, dass eine ökosoziale Reformpolitik möglich ist. Andrea Ypsilanti kann, trotz ihres amateurhaften Starts, noch immer die politische Architektur der Republik verändern.
Das erklärt auch das hysterische Flügelschlagen der Union, die einen rhetorischen Kreuzzug gegen Lafontaine und Co entfacht. Solche Kampagnen nutzen der Union meist wenig, der Linkspartei hingegen viel. Dass Peter Müller und Christian Wulff trotzdem mit so grobem Werkzeug hantieren, verrät Verunsicherung. Und die Furcht, dass Roland Koch bald hessischer Exministerpräsident sein wird.
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