Kommentar Hessen vor Neuwahlen: Die SPD hat sich aufgegeben
Nötig ist, nach der selbstzerstörerischen Schlacht der Flügel der hessischen SPD, eine Art Selbstversöhnung.
Stefan Reinecke ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.
Die kommende Wahlschlacht in Hessen scheint entschieden zu sein, noch ehe sie begonnen hat. Die SPD hat sich offenbar aufgegeben. Anders kann man die Kandidatur des unbekannten Kandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel kaum deuten.
Die Ideen der hessischen SPD in Bildungs- und Energiepolitik mögen noch immer zündend sein, die Finanz- und Wirtschaftskrise könnte zusätzlichen Treibstoff für einen sozialdemokratischen Wahlkampf bieten. Aber wie will die SPD einen Wahlkampf ohne vertrautes Gesicht führen? Nichts ist untauglicher als ein Kandidat, mit dem die Wähler nichts Rechtes verbinden. Und selbst wenn Schäfer-Gümbel sich wundersamerweise als medientaugliches Naturtalent entpuppen sollte - zwei Monate sind zu kurz, um das Wahlvolk mit dieser Botschaft vertraut zu machen.
Roland Koch ist in der luxuriösen Lage, gewinnen zu können, ohne viel dafür tun zu müssen. Keinen Fehler zu machen reicht. Wenn er den seriösen Landesvater gibt und nicht, wie 2007, den populistischen Hetzer, ist er kaum zu schlagen.
Hätte Ypsilanti also noch mal selbst antreten sollen? Wahrscheinlich ja. Allerdings ist sie in einer Lage, in der sie nichts mehr richtig machen kann. Denn hätte sie unverzagt Koch Paroli geboten - ein Pfeilregen von Häme und Kritik wäre über ihr niederprasselt. Genau jene, die ihr nun unter die Nase reiben, sich zu drücken, hätten ihr Unbelehrbarheit und blinden Machtwillen vorgeworfen.
So klar der Ausgang der Wahl scheint, so unsicher ist, was aus der hessischen SPD wird. Nötig ist, nach der selbstzerstörerischen Schlacht der Flügel, eine Art Selbstversöhnung. Ob es die aber mit Ypsilanti geben wird, ist mehr als ungewiss. Denn wenn die SPD im Januar die befürchtete historische Niederlage erleben wird, wird wohl Ypsilanti dafür verantwortlich gemacht werden. Fällt das Ergebnis wider Erwarten besser aus, wird sich dies Schäfer-Gümbel ans Revers heften. Für Ypsilanti sieht es so oder so finster aus.
Die einzige Chance der hessischen SPD ist derzeit wohl, dass niemand mehr an ihre Chancen glaubt. STEFAN REINECKE
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