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Kommentar Hessen-WahlDeutschland ist jetzt Fünfparteienland

Kommentar von Ralph Bollmann

Zweiparteien-Koalitionen werden durch die Ausbreitung der Linkspartei immer seltener. Die Optionen in Hessen wären Rot-Rot-Grün - oder eine Tolerierung.

Bild: taz

Ralph Bollmann ist Ressortleiter im Inland.

Nichts ist erstaunlicher als das Staunen über das hessische Wahlergebnis. Die beiden Volksparteien gleichauf, die drei Kleinparteien allesamt im Parlament, eine Regierungsbildung dementsprechend schwierig: Mit diesem Resultat endete schon die letzte Bundestagswahl im September 2005. Genauso werden in Zukunft noch viele Wahlen ausgehen. Denn die Linke scheint sich auch im Westen zu etablieren, FDP und Grüne fassen im Osten allmählich Fuß. Also verfestigt sich ein gesamtdeutsches Fünfparteiensystem.

Für klassische Zweierbündnisse von Schwarzen und Gelben, Roten und Grünen reicht es unter diesen Umständen nur ausnahmsweise - etwa wenn ein Regierungschef so konkurrenzlos ist wie derzeit Christian Wulff in Niedersachsen. Der Normalfall ist das nicht mehr. Von ihrem kategorischen Nein zu allen Koalitionen, die unter diesen Umständen noch denkbar sind, werden sich die Parteien deshalb nicht nur in Hessen verabschieden müssen. Das gilt vor allem für die SPD. Solange die Partei jedes Bündnis mit der Linken im Westen und auf Bundesebene kategorisch ausschließt, bleibt sie an die CDU gebunden - und zwar als Juniorpartner, weil es wegen der Linken zur stärksten Partei nicht mehr reicht.

Kaum eine politische Floskel ist unsinniger als die Behauptung von Union und SPD, mit großen Koalitionen vollzögen sie den "Wählerwillen". Sowohl 2005 im Bund als auch 2008 in Hessen haben die Parteien einen klaren Lagerwahlkampf geführt, der sich auch in der Regierungsbildung niederschlagen muss. Seit die soziale Frage wieder ganz oben auf der politischen Agenda steht, hat sich ein neues Links-rechts-Schema etabliert: FDP und Linkspartei ganz außen, gefolgt von Union und SPD. In der Mitte stehen die kriselnden Grünen, die programmatisch als Einzige mit beiden Lagern koalitionsfähig sind, weil ihnen die Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht wirklich am Herzen liegt.

Schwarz-Grün in Hamburg wäre eine logische Konsequenz aus dem neuen Parteiensystem, ebenso eine rot-rot-grüne Koalition oder Tolerierung in Wiesbaden. Es wäre nicht das erste Mal, dass Hessen als erstes Bundesland eine neue politische Konstellation erprobt.

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