Kommentar Hessen SPD: Neue Opfer für die Talkshows
Verständlich, dass die Hessen-SPD die Ypsilanti-Verräter um Walter rauswerfen will. Doch deren Politkarriere ist ohnehin beendet - und die Partei sollte sich Gegner Koch zuwenden.
Stefan Reinecke ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.
Jürgen Walter hat Andrea Ypsilanti aufgefordert, als Fraktionsvorsitzende zurückzutreten. Ist das eigentlich noch eine Nachricht? Eher nicht. Denn Walter, Ex-Fraktionschef der hessischen SPD, hat sich mit seinem Anti-Ypsilanti-Putsch auch in der SPD-Rechten isoliert. Seine Chance, bei den Sozialdemokraten jemals wieder etwas zu werden, liegen exakt bei null. Walter mag medial noch über ein gewisses Aufmerksamkeitskapital verfügen - sein politisches Kapital hat er unwiederbringlich vernichtet. Nicht viel besser sieht es allerdings für Andrea Ypsilanti aus. Falls die SPD im Januar drastisch verliert, wird sie diesen Absturz politisch kaum überleben. Das wäre der ironische Schlussakkord dieses Oper: Die innig verfeindeten Gegner werden am Ende gemeinsam von der Bühne gejagt.
Walters fortgesetzte Fehde gegen Ypislanti ist bezeichnend für die hessische SPD, die sich in Nachhutgefechten verfranst. So sollen die drei Abweichler wegen parteischädigendem Verhalten ausgeschlossen werden. Nun wäre ein Parteiausschluss durchaus zu rechtfertigen. Denn dass Gewissensnot Jürgen Walter, Carmen Everts und Silke Tesch trieb, ist mehr als unglaubwürdig. Everts hat die Bedingungen für die Tolerierung durch die Linkspartei selbst mitformuliert - wie glaubhaft war es da, ein paar Wochen später diese Tolerierung als Gewissensgrund anzuführen? Walter handelte den Koalitionsvertrag federführend mit aus - und entdeckte plötzlich, dass dieser Vertrag Hessen ökonomisch ruiniert. Verantwortungslos war nicht das Nein der drei zu Rot-Rot-Grün, sondern der Zeitpunkt.
Die Wut der hessischen Genossen ist also verständlich, der Parteiausschluss nahe liegend und wohl auch gerechtfertigt - trotzdem ist er sehr unklug. Die politischen Karrieren der drei Abweichler sind ohnehin beendet. Dafür können sie sich nun umso leichter in Talkshows als Opfer der linksdoktrinären Sozialdemokraten und als furchtlose Freiheitshelden inszenieren.
Eine SPD, die mitten im Wahlkampf so tut, als wäre ihr Gegner Jürgen Walter und nicht Roland Koch, schädigt sich selbst. STEFAN REINECKE
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