Kommentar Hartz IV: Gegenleistung um jeden Preis
Hartz-IV-Empfänger unter 25 Jahre sollen künftig gezwungen werden, jedes Arbeits-, Aus- und Fortbildungsangebot anzunehmen. Das hat mit der Achtung der Menschenwürde nichts mehr zu tun.
Still und leise hat sich die Regierung darauf geeinigt, die Hartz-IV-Regeln für Jugendliche unter 25 Jahren zu verschärfen. Neu daran ist weniger, dass sich Fallmanager in Jobcentern schnell um arbeitslose Jugendliche kümmern sollen - dazu werden sie schon heute angehalten. Neu ist, dass Jugendliche künftig gezwungen werden sollen, jedes Arbeits-, Aus- und Fortbildungsangebot anzunehmen. Weigern sie sich, wird ihnen die Leistung gekürzt.
Schon heute sind die meisten Fallmanager mit der Anzahl der zu betreuenden Hartz-IV-Empfänger überfordert. Jetzt sollen sie auch noch Arbeits- oder Ausbildungsplätze aus dem Hut zaubern, die vielerorts schlicht nicht existieren. Es stimmt zwar: In einigen - oft schlecht bezahlten - Branchen oder in Regionen, aus denen junge Menschen abwandern, bleiben Ausbildungsplätze unbesetzt. Und vielleicht findet der eine oder andere junge Mensch Gefallen an einer Arbeit, in die man ihn hineingezwungen hat. Doch das rechtfertigt noch keinen allgemeinen Arbeitszwang.
Die verschärfte Workfare-Maßnahme zeigt, dass es der Bundesregierung gar nicht um die Zustände auf dem Arbeitsmarkt und in den Jobcentern, geschweige denn um die Bedürfnisse und Wünsche von arbeitslosen Jugendlichen geht. Für die Koalition sind sie per se allesamt renitente Arbeitsverweigerer.
Die Regierung treibt einen weitreichenden Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik voran: Wer auf staatliche Leistungen angewiesen ist, muss Gegenleistungen erbringen - egal wie sie aussehen, und egal wie stumpfsinnig die Beschäftigungstherapie ausfällt. Mit der Achtung von Menschenwürde hat das nichts zu tun. Sondern mit dem Aufbau staatlicher Kontrolle und individueller Maßregelung und mit dem Willen, auf Teufel komm raus die Sozialleistungen zu kürzen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Abschied von der Realität
Im politischen Schnellkochtopf
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte