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Kommentar Gute Nachrichten 2009Resozialisierung der Investmentbanker

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Dank des 100. "Work & Life"-Centers finden ehemalige Bankmanager ein nützliches Betätigungsfeld - und sind glücklich wie noch nie.

Mit dem berühmten Richard-Nixon-Wort "We are all Keynesians now" meldete sich gestern SPD-Finanzminister Peer Steinbrück zu Wort. Nachdem es sogar vom Chef der New Yorker Börse und dem CEO des Hedgefonds Cerberus viel Spott gab über die "ewiggestrige Marktideologie, die nur mehr in der deutschen Sozialdemokratie von versprengten Haufen" vertreten würde, musste auch der SPD-Vize einsehen, dass er sich gegen den Rest der Welt nicht stellen kann.

Zu offensichtlich ist ja auch, wie die Krise alle festen Wegmarken verschoben hat. Das wurde bei der Eröffnung des hundertsten "Work & Life"-Centers in der Frankfurter Innenstadt deutlich. Die innovative Beschäftigungsinitiative stellt Betätigungsfelder - früher hätte man gesagt: "Jobs" - für sechshundert Frankfurter bereit. Für viele Langzeitarbeitslose ist sie ein Wiedereintritt in die Beschäftigung, aber auch viele ehemalige Bankmanager finden hier erstmals seit langem wieder ein nützliches Betätigungsfeld. Bemerkenswert ist, wie in den kooperativen Beschäftigungsinitiativen die Mitarbeiter ihre spezifischen Kompetenzen kombinieren und rekombinieren. Das Herz der Belegschaft bilden die ehemaligen Beschäftigten der jüngst kollabierten Autoindustrie.

"Diese kooperative Arbeit war keine Utopie - das war nichts, was wir als Vision anstrebten", sagte Steinbrück zur gestrigen Eröffnung und fügte scherzhaft hinzu: "Sie wissen ja, mit dem Visionen-Anstreben hatte ich es nie so." Nein, die neuen Beschäftigungsformen seien aus der Not geboren worden, nachdem die bisherigen Industrien und wichtige Dienstleistungsbranchen förmlich in sich zusammengebrochen sind. Aber gerade deshalb, so Steinbrück, sei bemerkenswert: "Die Initiativen sind kein Notnagel. Viele Bürger erleben hier erstmals seit langem Lebensfreude und Elan."

Das unterstrich auch Manfred Bruckner, Head of Work des Frankfurter Centers: "Nie wieder würde ich in den Trading Room zurückkehren wollen", spielte Bruckner auf seine Vergangenheit als Investmentbanker an.

Nur eine Peinlichkeit gabs: Zum Abschluss mussten alle Versammelten auf Anregung Steinbrücks "Yes, We Can" rufen.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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