Kommentar Guantánamo: Mahnmal für internationales Scheitern
Guantánamo zeigt: Wer einmal den Rechtsstaat aussetzt, handelt sich eine Hypothek ein, die kaum abzutragen ist.
S keptiker bekamen am Wochenende recht: Ranghohe Beamte der US-Regierung kündigten an, dass Präsident Obamas Zeitplan zur Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo nicht einzuhalten sein wird. Das war abzusehen, und daher gleich vorweg: Die US-Regierung ist keineswegs allein verantwortlich zu machen für diese erneute Schlappe. Doch den in Guantánamo Einsitzenden hilft das wenig.
Die juristisch äußerst komplizierte Bewältigung dieser enormen Hypothek des "Kampfes gegen den Terror" sollte allen eine Warnung sein. Verletzte Rechtsstaatlichkeit, und schien sie im Moment der Angst vor dem Terror auch noch so plausibel, lässt sich nur schwer wiederherstellen.
Die Probleme bei der geplanten Schließung sind schier nicht auflösbar: Unter Folter erpresste Geständnisse sind vor Strafgerichten nicht verwertbar. Exterritorial aufgegriffene und inhaftierte Verdächtige können nicht einfach so auf das Territorium der Vereinigten Staaten gebracht werden. Hinzu kommt, dass die Heimatländer zahlreicher Gefangener, wie Jemen und Russland, selbst kein rechtsstaatliches Justizsystem vorzuweisen haben und damit ein Rücktransfer der Gefangenen unverantwortlich wäre.
Zynisch gesprochen ist der Status quo auf Guantánamo angesichts dessen zunächst die einfachste Lösung. Obama mag wirklich die gute Absicht haben, das Lager aufzulösen. Doch angesichts aller übrigen Herausforderungen seiner noch jungen Präsidentschaft ist er jenseits symbolischer Akte nicht bereit, diesem Problem seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen.
Hier hätten ihm Regierungen wie die deutsche, die sich durch schweigendes Einverständnis bei illegalen Gefangenentransporten über Deutschland mitschuldig machte, sehr helfen können. Doch die westlichen Partner sind nicht bereit, ihrer Menschenrechtskritik auch Taten folgen zu lassen.
Die Folge von den vielen richtigen Worten ohne Konsequenzen ist, dass sich die westliche Wertegemeinschaft weiter ein massives Vergehen gegen die eigenen, immer wieder vorgetragenen Prinzipien leistet. Das unterläuft nicht nur Obamas Politik der ausgestreckten Hand gegenüber der islamischen Welt, sondern auch die der Bundesregierung. Mit jedem Tag, den das Lager existiert, schwindet weltweit die Glaubwürdigkeit der demokratischen Systeme.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart