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Kommentar Grundsicherung in ÖsterreichEnde des Spießrutenlaufs

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Die Idee eines arbeitslosen Einkommens, das den Verzicht auf Erwerbsarbeit ermöglichte, will in die Köpfe der von der Arbeiterideologie geprägten Parteigranden nicht hinein.

E in Schritt in die richtige Richtung oder ein Hindernis für echte Grundsicherung? Österreichs bedarfsorientierte Mindestsicherung, wie sie im September umgesetzt werden soll, bedeutet keine Revolution für das Sozialsystem.

Für viele wird sie eine willkommene Anhebung der Sozialtransfers auf ein Existenzminimum bringen. Von einem als Menschenrecht verankerten Grundeinkommen ist sie aber weit entfernt. Selbst die wünschenswerte Verwaltungsvereinfachung bleibt gering. Für Margit Appel von der Katholischen Sozialakademie Österreichs führt sie komplett in die falsche Richtung, weil sie an der Vorstellung festhält, dass es in der Gesellschaft "einige wenige Bedürftige gibt, die kontrolliert werden müssen".

Der hohe Produktivitätszuwachs der Wirtschaft würde zumindest eine Verkürzung der Arbeitszeit zulassen. Der konsequente nächste Schritt, nämlich das allgemeine Grundeinkommen oder die Grundsicherung als Menschenrecht, müsse keine Utopie bleiben.

Bild: privat

Ralf Leonhard ist Österreich-Korrespondent für die taz.

Solche Debatten laufen in Österreich seit Jahren. Allerdings in überschaubaren Zirkeln von Politikwissenschaftlern, Menschenrechtsorganisationen und Sozialrevolutionären. Die Politik steigt darauf nicht ein. Denn eine grundsätzliche Auseinandersetzung über unser Wirtschaftssystem würde nicht nur den Koalitionsfrieden zwischen SPÖ und ÖVP gefährden, sie steht auch bei den Sozialdemokraten nicht auf der Tagesordnung.

Die Idee eines arbeitslosen Einkommens, das es dem Menschen ermöglichen würde, auf Erwerbsarbeit zu verzichten, will in die Köpfe der von der Arbeiterideologie geprägten Parteigranden nicht hinein. Selbst die Grünen setzen sich nur für ein verbessertes Modell der Grundsicherung ein. Das Grundeinkommen wird also Utopie bleiben. Die österreichische Lösung ist unbefriedigend, doch sie verzichtet auf Regressforderungen und vereinfacht den Spießrutenlauf durch die Behörden. Damit ist sie allemal besser als Hartz IV.

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Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.
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3 Kommentare

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  • M
    Marco (Hamburg

    "+1!" wie man so schön in Internet sagt. Aber einer muß anfangen. Vielleicht muß der Leidensdruck noch größer werden.

     

    Allerdings müßte ich mich sehr stark täuschen, wenn es im Bundestag nicht eigentlich schon eine knappe Mehrheit dafür gibt.

     

    Das Problem: Über die Parteigrenzen weg.

     

    Das Problem (2. Versuch): Parteiensystem??

  • K
    Kosmus

    Ich bin absolut Deiner Meinung, "Grundeinkommens Militz"!!! Bravo, Du bist ganz "mein Mann" oder Frau, was das anbelangt. Du hast es begriffen.

     

    Ich kann nur hoffen und wünschen, daß die Herrschenden und Regierenden die Schraube bei der Unterdrückung der "Habenichtse" genügend überdreht, um den Anlaß zu schaffen, den es braucht. Ich hoffe und wünsche, daß es dieses Jahr noch geschieht.

     

    Ich hoffe aber auch, daß nicht die Katastrophe gewinnt, sondern die Einsicht bei den Herrschenden das Rennen macht. Es würde sie nicht umbringen, wenn sie jedem ein bedingugsloses Grundeinkommen auf akzeptablen Niveau gerantierten! Im Gegenteil.

  • GM
    Grundeinkommens Militz

    Das Grundeinkommen wird nie kommen solange die Beführworter nur rumlabern und nicht bereit sind auch dafür zu kämpfen.

     

    Jede soziale Revolution/Reform musste einst erkämpft werden, egal ob Rente, Arbeitslosenversicherung oder Grankenkasse. All das musste im 20 jahrhundert mit massiven Anstrengungen erkämpft werden.

     

    Hier mal ne unterschriftenliste oder ne Petition reicht eben nicht, das ist unseren Politikern 100% egal. Die werden erst dann echte Reformen in Gang setzen wenn der Druck von der Straße zu groß geworden ist. Das Grundeinkommen lässt sich also nur mit genügend militanz und härte erkämpfen.

     

    Als die Sozialdemokraten die ersten sozialsysteme erstritten haben ging das auch nicht durch bitten und nette Artikel in Zeitungen. Die Sozialsysteme wurden damals von den Eliten nur eingeführt weil sie Angst vor Revolution und Aufständen hatte.