Kommentar Grünen-Parteitag: Grüne sind mit sich recht zufrieden
Den Grünen ist gelungen, dass ihre beiden Lager motiviert in den Wahlkampf ziehen. Der Preis dafür: Die zentrale Frage blieb unberührt: Wie soll eine Regierung mit SPD und FDP funktionieren?
Ulrike Winkelmann ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.
Es hat keinen Linksrutsch gegeben auf dem Parteitag der Grünen am Wochenende. Die Forderung nach 7,50 Euro Mindestlohn konnte sich gegen die Grünenspitze zwar durchsetzen, der Antrag hingegen, der Erleichterungen bei der Erbschaftsteuer für kleine und mittlere Unternehmen verhindern wollte, wurde abgeschmettert. Und das geforderte Kindergrundeinkommen stellt keinen Schwenk nach links dar, auch wenn es teuer ist. Selbst der Versuch, in der Koalitionsfrage einen winzigen rot-rot-grünen Akzent zu setzen, wurde frühzeitig abgebogen.
Dennoch sind die Linksgrünen recht zufrieden. Sie finden, dass die Partei in den vergangenen Jahren ihren Kurs bereits ausreichend korrigiert hat. Rot-Rot-Grün, immerhin, wurde bei diesem Parteitag nicht offiziell ausgeschlossen. Zufrieden sind auch die meisten Realogrünen: Aus ihrer Sicht stellt ihre Partei pünktlich zum Wahlkampf das Linksrutschen weitgehend ein.
So gesehen ist den Grünen das Kunststück eines Wahlparteitags gelungen, dass alle halbwegs motiviert in den Wahlkampf ziehen können. Der Preis dafür: Die zentrale Frage blieb unberührt. Wie nämlich soll eine Regierung gemeinsam mit SPD und FDP funktionieren angesichts der enormen inhaltlichen Differenzen zur FDP? So gut diese heikle Frage umschifft worden ist, genau sie wird die Grünen am Wahltag um 18 Uhr wieder einholen - wenn das Ergebnis dafür reicht. Dann beginnt der Streit über die Ampel hundertfach verstärkt aufs Neue.
Spätestens dann wird sich auch rächen, was die Grünen derzeit mit aller Macht als Vorteil für sich begreifen wollen: Die Wirtschaftskrise verlangt einen Wirtschaftswahlkampf. Zwar waren die Grüne in der Tat die Ersten, die mit grünen Ideen Marktwirtschaft betreiben wollten. Dass alle anderen das jetzt auch fordern, hat den Grünen jedoch öffentlichkeitstechnisch nur wenig genutzt. Die Konzentration auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt vergrößert die Kluft zwischen Grünen und Liberalen sogar. Deshalb hilft es den grünen Wahlkämpfern nun mittelfristig, dass FDP-Chef Guido Westerwelle erklärt, er wolle sowieso keine Ampelkoalition. Macht Westerwelle aber nach dem 27. September Ernst - also lehnt er eine Ampelkoalition tatsächlich ab -, dann wird 2009 für die Grünen mitsamt ihrem Streit just über Rot-Gelb-Grün ein verlorenes Jahr gewesen sein.
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