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Kommentar Giftspritzen-UrteilDie Todesstrafe ist nie human

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Der Oberste Gerichtshof der USA hat die Vollstreckung von Hinrichtungen de facto vorerst ausgesetzt. Doch in den USA fehlt eine starke Fraktion, die sich für die Abschaffung einsetzt.

W as muss eigentlich noch passieren, damit die Todesstrafe auch in den USA endgültig abgeschafft wird? Jetzt hat der Oberste Gerichtshof der USA die Vollstreckung von Hinrichtungen de facto bis auf weiteres ausgesetzt. Zuerst solle gerichtlich geklärt werden, ob die Anwendung der Giftspritze nicht doch eine "grausame und ungewöhnliche Strafe" darstellt und daher verboten ist. Das Urteil entzieht der Exekutionspraxis den letzten Rest Legitimation und humaner Bemäntelung.

Bild: taz

Bernd Pickert ist Auslandsredakteur der taz.

Vorangegangen waren in den vergangenen Jahren Dutzende von Prozessen und Nachrecherchen, in denen Fehlurteile und - mitunter rassistisch motivierte - Justizschlampereien bei Todesurteilen nachgewiesen wurden. Wer es wissen wollte, konnte begreifen: Das System Todesstrafe funktioniert nicht - weder juristisch noch gesellschaftspolitisch oder moralisch. Und rein praktisch auch nicht.

Erst als diese Einsicht jenseits der erbitterten Debatte zwischen Befürwortern und Gegnern der Todesstrafe um sich griff, kam Bewegung in den Diskurs. Und sie hat die Todesstrafe ihrer Abschaffung näher gebracht, als es Todesstrafengegner über Jahrzehnte erreichen konnten.

Das neue Urteil könnte für diese optimistische Hypothese die vorletzte Bestätigung sein. Und dennoch liegt vermutlich nicht falsch, wer glaubt, dass in den USA so bald wie juristisch möglich erneut Menschen vom Staat vorsätzlich umgebracht werden. Denn noch immer findet sich in der politischen Klasse keine ausreichend starke Fraktion, die die Einstellung zur Todesstrafe grundsätzlich in Frage stellt und sich auch traut, dafür zu werben und Mehrheiten zu schaffen. Solang das aber nicht geschieht, wird schon die nächste Methode, die schmerz- und leidensfreies Töten verspricht, umgehend zur neuen Praxis werden.

Die grundsätzliche Ablehnung der Todesstrafe muss von innen kommen. Die USA auf ihre schlechte Nachbarschaft in dieser Frage mit Ländern wie China oder Iran hinzuweisen, führt nur zu eigenartig irrationalen Trotzreaktionen. Es bleibt also lediglich die Hoffnung, dass Urteile wie das vom Dienstag - und jenes, das im Frühjahr kommen wird - die Debatte endlich auf eine andere Stufe heben.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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3 Kommentare

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  • A
    Alster

    Es gibt Menschen-oder sollte man lieber sagen: Bestien; die haben nichts besseres verdient als die

    Todesstrafe. Aber warum so human? Sind die Opfer auch so human gestorben? Und die Nachkommen der Opfer-, was ist mit denen? Die dürfen leiden,während der Täter in die 'Ewigen Jagdgründe' hinüber schläft.

  • GD
    Gerhard Deml

    Die "heilende Wirkung der Sühne" (besser wäre hier wohl Rache, den die Tötung eines Mörders "sühnt" wohl kaum seine Tat im Sinne einer Wiedergutmachung) scheint mir ein bisserl zu vage, außerdem würde das wohl auch auf Vergewaltigungsopfer, sexuell mißbrauchte Kinder etc. zutreffen und die Todesstrafe erheblich ausdehnen. Dass der Staat aufgrund solch schwammiger "Erkenntnisse" die Tötung evtl. auch unschuldiger in Kauf nehmen soll, ist absurd. Die Behauptung, in Deutschland müssten "Tausende Familien" auf etwas verzichten, ist schlichtweg eine Lüge und daher unredlich(aber ganz auf der Linie dieser Diskussion: warum Fakten, Panikmache und Lügen verkaufen sich besser). Es gibt schlicht und ergreifend keine Tausende von Morden pro Jahr in der BRD; wohl aber im Sühneparadies USA. Dass bei Todesurteilen besonders genau untersucht wurde, ist ja wohl nur noch als Witz oder Realitätsverweigerung zu werten(siehe auch diesen Artikel).

    Schön, dass Ihnen Ihre früheren Argumente gegen die Todesstrafe peinlich ist, mir wäre es allerdings eine derart hanebüchene Argumentation wie Ihre jetzige. Aber um Argumente geht's ja wahrscheinlich nicht, eher darum vermeintlichen "Moralisierern" "differenzierte" Sichtweisen um die Ohren zu schlagen, seien diese auch gelogen oder nicht nachweisbar. Ich ziehe es vor, keine Unschuldigen zu schlachten, statt differenziert vage Rache- oder Sühnerituale auf Kosten anderer zu exerzieren.

  • RZ
    Rene Zacher

    In der Bundesrepublik wurde noch nie differenziert über die Todesstrafe diskutiert.

    Das große Hindernis dabei ist die eigene Eitelkeit. Auf kaum einem anderen Feld lässt sich vermeintliche moralische Integrität besser zur Schau stellen, als bei diesem Thema.

     

    Ich kann muss mich da leider mit einschließen. Auch ich habe anderen Leute die bekannten Argumente um die Ohren gehauen.

    1. Todesstrafe ist keine Abschreckung, sie verhindert nachweislich keine Morde.

    2. Wenn man mordet ist man nicht besser als der Täter.

    3.Todesstrafe macht das Opfer nicht wieder lebendig und hilft keinem.

    4. Für Todesstrafe sind nur rachsüchtige Menschen, die nach dem Motto "Auge um Auge" leben.

     

    Heute ist es mir peinlich, dass ich so argumentiert habe.

     

    zu 1. das Argument der Abschreckung ist irgendwann von Todesstrafen-Gegner eingeführt worden - aber bei der Todesstrafe geht es nicht um Abschreckung. Die größte Rechtfertigung der Todesstrafe liegt in dem was der begangene Mord des Täters mit den Hinterbliebenen macht. Es ist in Deutschland nie umfassend diskutiert worden, dass die Hinterbliebenen des Opfers die Opfer sind, denen das schlimmste Leid angetan wurde. Das Leben der Familie eines Hinterbliebenen kann mit dem Mord an der Tochter, dem Sohn, dem Geschwister etc. quasi mit beendet werden. Ich erinnere mich an eine Dokumentation über eine Familie eines Mordopfers. Das war die Dokumentation, die ich als absoluter Gegner der Todesstrafe begonnen habe und sehr nachdenklich beendet habe. Der zerrütende Effekt des Mordes auf die gesamte Familie, bis zur Großmutter war unglaublich und mir völlig neu. Das Leben mit ständigen irrationalen Schuldgefühlen, mit unstillbaren Rachegelüsten kann das Leben eines Menschen bis zu seinem Tod dominieren, und ALLES was er tut überschatten. Und zwar so sehr, dass er keine Lebensfreude mehr empfindet. Diese Reaktion ist kein seltener psychologischer Einzelfall, sondern die Regel. Es war unglaublich zu sehen, wie die Familie wieder am Leben teilnehmen konnte, als das Todesurteil vollstreckt wurde. Ich hätte das selbst nicht geglaubt, aber nur durch die Todesstrafe des Täters konnte die Familie loslassen.

    In Deutschland ist - entgegen der Meinung der meisten - die Todesstrafe nicht aus "moralischen Gründen" verboten. Es ist die Angst, dass man einen UNSCHULDIGEN töten könnte. Denn dieses Fehlurteil kann nicht wieder revidiert werden. So hat es mir ein Staatsanwalt erklärt. Und lieber sollen tausende Familien von Hinterbliebenen auf Sühne (ist auch im Deutschen Recht als wichtiger Bestandteil von Strafe festgeschrieben)verzichten, als das EIN Mensch unschuldig stirbt. Diese Haltung kann man vertreten.

    Bei dem Argument, dass man "nicht besser" ist als der Täter, entlarvt man sich natürlich selbst: denn es geht nicht darum seine eigene moralische Eitelkeit zu pflegen sondern um den oben genannten Punkt: die heilende Wirkung der Sühne.

    Auch wird gerne von "Lynchjustiz" gesprochen. Lynchjustiz gibt es deswegen nicht, weil sie Standrecht bedeutet: sie verwehrt einem Verdächtigen den Prozess! Also Beweisaufnahme, Anwalt etc. Wieder geht es darum UNSCHULDIGE zu schützen. Nur bei den Todesurteilen handelt es sich um Menschen bei dem besonders genau darauf geachtet wurde, dass es beim kleinsten Zweifel an der Täterschaft keine Verurteilung zum Tod geben darf.

    Es lohnt sich auf jeden Fall nicht einfach nur jeden zu diffamieren, der die Todesstrafe nicht sofort rigoros ablehnt. Man sollte genau hinhören.