Kommentar Gewalt in Ägypten: Ein Eigentor für die Armee

Die ägyptische Militärführung fürchtet, ihre in 60 Jahren gesammelten Privilegien zu verlieren. Mit ihrer Gewalt gegen die Demonstranten tut sie sich keinen Gefallen.

Soldaten verprügeln am Boden liegende Frauen, denen sie zuvor die Kleider vom Leib gerissen haben. Ein Offizier im Laufschritt schießt auf Demonstranten. Einmal mehr hat Ägyptens Militärführung an diesem Wochenende ihre Soldaten wie wilde Hunde auf die Protestierenden auf dem Tahrirplatz losgelassen.

Die Militärführung sieht ihre in 60 Jahren akkumulierten sozialen und wirtschaftlichen Privilegien durch die Revolution gefährdet. Das ist der Hauptgrund, warum sie versucht, den Wandel ins Leere laufen zu lassen. Dabei setzt sie auf die schweigende Mehrheit der Ägypter, die im Militär immer noch den Garanten für Stabilität sieht - obwohl es die Armee bereits zehn Monate lang nicht geschafft hat, genau diese herzustellen.

Diese "Kanapee-Fraktion", wie sie in Ägypten genannt wird, geht nicht aktiv auf die Straße. Das tun die Tahrir-Aktivisten mit ihrer Forderung, das Militär aus der Politik zu verbannen. Das Problem der Armee: wann immer Soldaten brutal gegen Demonstranten vorgehen, wird die Kanapee-Fraktion hellhörig und ist entsetzt, wie ähnlich dieses Vorgehen dem des einstigen Mubarak-Regimes ist. Ein Dilemma, das sich auch diesmal als Eigentor für das Militär erweisen wird.

Auch für die Islamisten schafft der Gewaltausbruch vom Wochenende ein Problem. Sie hüllen sich in Schweigen, weil sie fürchten, mit einer offenen Verurteilung der Armee ihre Wahlerfolge zu gefährden. Die einen haben also Angst um ihre Privilegien, die anderen um ihren Wahlsieg. Und beiden macht der Tahrir einen Strich durch die Rechnung. Dort schaffen es mehrere tausend politisch aktive Jugendliche immer wieder, gegen alle Widerstände, ihre Vorstellung eines demokratischen Wandels auf die ägyptische Tagesordnung zu setzen.

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Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

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