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Kommentar GeorgienGeorgier haben die Schnauze voll

Kommentar von Barbara Oertel

Die Botschaft ist eindeutig: Die Wähler haben genug von den Politikern, die das Land zu Grunde regierten. Auch lassen sie sich nicht mehr durch Repressionen einschüchtern.

Siegesstimmung auf den Straßen von Tiflis. Bild: dpa

D er Sieg des Oppositionsbündnisses „Georgischer Traum“ bei den Parlamentswahlen am vergangenen Montag markiert eine Zäsur in der jüngeren Geschichte Georgiens.

Erstmals seit dem Machtantritt von Präsident Michail Saakaschwili im Jahre 2003 haben sich die Unzufriedenen, Frustierten und diejenigen, die reale Veränderungen wollen, kraftvoll und friedlich zu Wort gemeldet. Und das nicht nur auf der Straße, sondern auch an den Urnen.

Ihre Botschaft ist eindeutig: Sie haben endgültig genug von einem Staatschef und einer Regierung, die den Ausverkauf der Landwirtschaft sowie den Niedergang des Gesundheits- und Bildungssystems zu verantworten hat.

Barbara Oertel

ist Leiterin des Auslandsressort der taz und zuständig für die Osteuropa-Berichterstattung.

Foltervideos aus einem Tifliser Gefängnis waren nur der letzte Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen und die Menschen an das Ende ihrer Geduld brachte.

Doch noch ein weiteres Signal geht von diesen Wahlen aus: Diejenigen, die für den „Georgischen Traum“ des Milliardärs Bidzina Ivanischwili gestimmt haben, lassen sich nicht länger einschüchtern und unter Druck setzen. Bedrohungen und Repressionen wie die Festnahme von dutzenden Aktivisten der Oppossition in den vergangenen Wochen verfangen nicht mehr.

SAAKASCHWILI

Nach der Parlamentswahl in Georgien hat Präsident Michail Saakaschwili seine Niederlage eingeräumt. Seine Partei gehe in die Opposition, sagte der Staatschef bei einer Fernsehansprache am Dienstag. (dpa)

Nein, die Mehrheit der Georgier lässt sich ihr Votum nicht mehr nehmen. Das wurde nicht zuletzt am Sonntag abend deutlich, als hupende Autokorsos durch die Hauptsdtadt Tiflis brausten und sich Tausende mit Tränen in den Augen und unter Jubel- und Siegesrufen auf dem Freiheitsplatz begeistert in die Arme fielen.

Staatspräsident Michail Saakaschwili und seiner Regierungspartei „Vereinigte Volksbewegung“ (UNM) war vor den Wahlen kein Mittel zu schmutzig, um ihre Unterstützer zu „mobilisieren“ Dass sie jetzt ihre Niederlage eingestanden und angekündigt haben in die Opposition zu gehen, zeugt von einer gewissen demokratischen Reife.

Dieser Schritt verbunden mit der Einsicht, dass mit plumper Manipulation und dreisten Fälschungen um des bloßen Machterhaltes willen kein Staat mehr zu machen ist, bewahrt das Land vor einer veritablen Krise.

Denn um ihren Sieg zu verteidigen, wären die Anhänger der Opposition zu allem bereit gewesen – mit möglicherweise verheerenden Konsequenzen.

Mit dem bevorstehenden Machtwechsel gibt es in Georgien erstmals eine Chance auf Reformen und einen wirklichen Wandel. Jetzt ist es an allen politisch Beteiligten, diese auch zu nutzen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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4 Kommentare

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  • B
    Benz

    @Lothar

    bombensicher. Was meinen Sie, warum es zwischen 1 und 1.5 Mio georgische Gastarbeiter in RU gibt, während es umgekehrt keinen einzigen Russen nach Georgien zieht?

     

    - Wirtschaftswachstum von 6.5%- von wo haben Sie diese Zahl? Von der georgischen Regierung wahrscheinlich. Selbst falls sie stimmen sollte- von tiefen Niveau eines verarmten Landes aus berechnet, heisst das noch nichts. Auch Ghana und Jordanien haben solche Raten.

    - landw. Ueberschuss- möglich, kann schon sein. Aber den kann Georgien nirgends verkaufen, weil der traditionelle Absatzmarkt RU verspielt ist und die EU ihren abschottet.

    - Bautätigkeit wird zur Hauptsache aus dem Geld gespeist, dass die georgischen Gastarbeiter in RU nachhause schicken.

     

    Und: Wenn Georgien so ein blühendes Land ist wie Sie schreiben, müsste es doch sehr verwunderlich sein dass gerade eben die Regierung abgewählt wurde.

  • L
    Lothar

    @Benz: Sind Sie sicher, daß Sie Georgien nicht mit Rußland verwechseln?

     

    6,5 % Wirtschaftswachstum in Folge und ein massiver Ausbau der Wasserkraft haben Georgien zum Nettostromexporteur der Region aufsteigen lassen. Der Landwirtschaftliche Sektor produziert Überschuß, die Währung ist ebenso wie das Zinsniveau stabil und der Immobilienmarkt lockt Investoren.

     

    Also Ihr Georgienbild ist wohl durch das von Rußland besetzte Achasien geprägt. Abchasien exportiert vermutlich nur noch Nüsse;-)

  • B
    Benz

    @Lothar

    Georgien steckt tief in der Misere: Die Wirtschaft ist klinisch tot (Hauptexportgut sind Nüsse und Metallschrott), die Touristen aus RU wurden vergrault und andere kommen nicht, der traditionelle Exportmarkt RU ist dank Georgiens antirussischer Politik ebenfalls verschlossen. Zudem noch der extreme Nationalismus, der aufgeblähte Militärapparat und mehrere verlorene Kriege gegen einst unterdrückte Provinzen- Georgien unter Saakaschwili ist alles andere als eine Erfolgsgeschichte.

    Ich gebe Ihnen allerdings recht darin, dass auch ein neuer starker Mann im Lande daran kaum etwas ändern wird.

  • L
    Lothar

    So ein inkompetentes Geschwätz seitens der Taz! Als Wahlbeobachter der Wahl von 2010 und Zeuge der Revolution von 2003/4 habe ich wirklich eine gänzlich andere Faktenlage kennengelernt als sich dies in diesem unsachlichen Taz-Kommentar darstellt. Vom der Schewardnardze-Korruption ist Georgien mittlerweile weit entfernt und hat sich seit der Rosenrevolution in einer Tiefe gewandelt, die sogar im Westen beipielos ist. Saakashvili entließ seinerzeit nicht nur fast den gesamten korrupten Polizei-, sondern auch den Beamtenapparat und ersetzte die freigewordenen Stellen durch junge motivierte Leute mit Auslandserfahrung. Diese entmachtete alte Nomenklatura stellt seither auch die größte Gruppe an "Oppositionellen" und ist gegen Saakashvili auf der Strasse aktiv und handelt kontraproduktiv bis hin zur Kooperation mit Putin. Ungeachtet dessen hat Saakashvili nachweisbar eine ganze Reihe an wirksamen Reformen durchgeführt, die das Land insgesamt demokratisiert haben. Nicht nur wirtschaftlich zahlt sich das aus (Georgien liegt mittlerweile im europäischen Mittel, was die Korruptionsrate angeht), sondern auch zivilgesellschaftlich. Letzte Schritte waren die Stärkung des Parlamentes und die Öffnung der staatlichen Medien bzw. des Kabelnetzes für oppositionelle Mitbewerber - was diese sogleich geschickt für ihre Wahlpropaganda samt dem zufällig jetzt in der heissen Pahse des Wahlkampfes aufgedeckten Gefängnisskandal genutzt haben. Nun denn - der neue Wahlsieger ist ein Mann Moskaus, der nicht nur die alte Nomenklatura hinter sich weiß, sondern insbesondere den Demokratisierungsprozess vermutlich nicht weiter vorantreiben wird, da die zunehmende soziale Durchlässigkeit der georgischen Gesellschaft nicht im Interesse der alten Schichten liegt. Wer nach Georgien reist, trifft nicht selten auf die alteingesessene Tifliser Oberschicht - eben jene die von Saakashvili zum Wohle des Landes entmachtet wurde - und übernimmt zwangsläufig bzw. mangels anderer Informationen deren wutschäumendes Weltbild. Dies ist beobachtbar vielen Journalisten so ergangen, die Taz dürfte nach diesem unglaublichen Geschreibsel zu urteilen keine Ausnahme bilden. Saakashvili war ein Präsident der zumindest solidarisch gedacht hat... was der Neue vorhat ist, werden wir sehen. Ich erwarte nichts Gutes, außer natürlich für die alte Oberschicht.