Kommentar Gedenk-Event-Jahr 2009: Patriotismus reloaded?
Die Diskursmaschine zum deutschen historischen Gedenkjahr 2009 ist angeworfen: Man sinniert wieder über die Geburt der Deutschen. Die Eventkultur wird folgen.
H offentlich passiert 2009 nichts Ernsthaftes, denn das kommende Jahr ist bereits brechend voll mit historischen Gedenktagen, die allesamt Aufmerksamkeit erheischen. 20 Jahre Mauerfall und Abdankung der DDR-Realsozialisten, 60 Jahre Bundesrepublik, 90 Jahre Friedensschluss von Versailles und so weiter. Im Wettstreit der Erinnerungsdaten ragt der 2000. Jahrestag der Schlacht am Teutoburger Wald hervor, wo im Jahre 9 u. Z. Arminius der Cherusker drei römische Legionen vernichtete und den römischen Imperatoren künftig jede Lust verdarb, das "freie Germanien" dem Römischen Reich einzuverleiben.
Im Zeichen des Nationalismus stieg Arminius (gleich Hermann) im 19. Jahrhundert zur Lichtgestalt auf, er galt als Freiheitskämpfer gegen den römischen Imperialismus. Das Jahr 9 wurde zur Geburtsstunde der Deutschen erklärt. Die blond-blauäugige Genealogie von den Germanen bis zu den rassereinen Deutschen gehörte später zum Kernbestand der Nazi-Ideologie.
Nach 1945 schien mit dem Hermann-Kult und dem ganzen germanischen Mummenschanz auch die Theorie erledigt, wonach Arminius für das spätere Deutschland den Grundstein gelegt hätte. Weit gefehlt. Der Direktor des Deutschen Historischen Museums sprach bei der Eröffnung dieser Institution von der Schlacht 9 nach Christus als dem "Urknall" der deutschen Geschichte. Hier wollte das ebenfalls um Volksbildung bemühte Nachrichtenmagazin Der Spiegel nicht nachstehen. In seiner jüngsten Coverstory zum 2000. Gedenktag titelte es: "Die Geburt der Deutschen. Als die Germanen das Römische Reich bezwangen".
Unter den Historikern herrscht Übereinstimmung darin, dass "deutsch" zu keinem Zeitpunkt mit "germanisch" gleichzusetzen war. Johannes Fried, der bedeutende Mediävist, fasst zusammen: "Die Ethnogenese der Deutschen knüpfte an keine altgermanische Einheit an. Das werdende Volk entwickelte keinen Mythos, besaß keine Vorstellung von einer gemeinsamen Herkunft oder einer gemeinsamen ,Patria'." Wenn sich aber vor dem späten Mittelalter die "tiudisk", also die Volkssprache, sprechenden Menschen nicht als Deutsche begriffen, dann gab es eben bis zu diesem Zeitpunkt keine Deutschen. Weshalb es Unsinn ist, dann vom Beginn der Geschichte der Deutschen ohne Deutsche zu sprechen.
Die Versuche, den Deutschen zu einer Siegesgeburtsurkunde zu verhelfen, stoßen auf mangelnde Aufnahmebereitschaft des Publikums. Einst hatten die Jahresfeiern am Denkmal Hermann des Cheruskers abertausende Pilger angezogen. Jetzt ist der Germanenkult dem Vereinskult für die Fußballprofis von Arminia Bielefeld gewichen.
Dieser wenig patriotische Stand der Dinge ist auch den Organisatoren des großen Gedenk-Events nicht entgangen, das 2009 unter dem Titel "Imperium, Konflikt, Mythos" über die Bühne gehen wird. Kalkriese, der heiße Anwärter auf den Ort der Schlacht, Detmold und Haltern haben ihre Rivalität, wem nun die Ehre des Schlachtfelds gebühre, zurückgestellt. Sie haben sich zur Produktion einer Schau zusammengeschlossen, die sicher der südniedersächsisch-ostwestfälischen Einheit im Zeichen des Gedenktourismus dienen wird.
Wie aber soll an diesem Gedenktag der deutsch-patriotische Gedanke lanciert werden, natürlich streng im europäischen Bezug eingebettet? Was um Wotans/Jupiters willen kann Angela Merkel zum Gelingen dieses nach ihren Worten "vielseitigen" Projekts beitragen, dessen Eröffnung sie mit ihrer Gegenwart beehren will? Vielleicht Hermann als Vertreter eines "Europa der Regionen" porträtieren gegenüber dem römischen (Brüsseler) Zentralismus, wie es der Spiegel in der erwähnten Titelgeschichte vorgeschlagen hat? Also Arminius als der bessere Römer? Geschichtspolitiker im Bundeskanzleramt, lasst euch was einfallen!
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