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Kommentar GarzónAufklärung unerwünscht

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Die beiden Verfahren gegen den Juristen zeigen, dass Spanien noch immer weit davon entfernt ist, eine Rechtsstaat zu sein. Ein mutiger Jurist wird mundtot gemacht.

S paniens Justiz verurteilt auf Betreiben einer Handvoll hochrangiger Politiker und Unternehmer aus der konservativen Partido Popular (PP) Richter Baltasar Garzón wegen Rechtsbeugung zu einem elfjährigen Berufsverbot und damit zum Ende seiner Karriere. Verkehrte Welt, sollte man denken. Doch nein, was vor dem obersten Gerichtshof, dem Tribunal Supremo, geschieht, hat System.

Zwei Verfahren – eines abgeschlossen, eines vor der Urteilsverkündung – gegen den international bekannten Ermittler Garzón sollen andere Richter einschüchtern und davon abhalten, zwei Themen in Angriff zu nehmen: das Krebsgeschwür der Korruption, das von der Gemeindeebene über die Regionalregierungen bis in die Königsfamilie reicht, und die faschistische Vergangenheit des Landes.

Es ist eine unheilige Allianz, die sich gegen den Richter verschworen hat. Sie reicht von den Klägern aus dem Umfeld der regierenden Volkspartei bis zu rechtsradikalen, der Diktatur verpflichteten Organisationen, die in einem zweiten Verfahren gegen Garzón vorgehen, weil dieser die Menschenrechtsverletzungen der Franco-Diktatur untersuchen wollte.

Bild: taz
REINER WANDLER

ist Spanien-Korrespondent der taz.

Einer der verhandelnden Richter ist eng mit ehemaligen Ministern der sozialistischen Regierung von Felipe González befreundet, die sich durch Garzón mehreren Verfahren wegen des schmutzigen Kriegs gegen baskische Separatisten in den 1980er Jahren ausgesetzt sah. Ein mutiger Jurist wird von der herrschenden Klasse eines Landes mundtot gemacht.

Wenn überhaupt jemand das Recht gebeugt hat, dann ist es das Tribunal Supremo mit dieser koordinierten Hetzjagd auf Garzón. Die beiden Verfahren gegen den Juristen zeigen, dass Spanien 36 Jahre nach Ende der Diktatur noch immer weit davon entfernt ist, eine Rechtsstaat zu sein, ja einen solchen nicht einmal anstrebt.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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14 Kommentare

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  • C
    christian

    Der spanische Buergerkrieg fordete nach Schaetzungen 200.000 Opfer. Inbegriffen die Opfer der ersten Nachkriegsjahre, die besonders grauenhaft waren. 50.000 Opfer. Eine systematische "Saeuberung" aller Personen die mit dem repuplikanischen Regime in Zusammenhang gebracht wurden. Soldaten, Parteimitglieder, Beamte, Lehrer, Schriftsteller, aller diesen deren Familienmitglieder, ...

    Viele von diesen liegen noch immer im Strassengraben irgendeiner Landstrasse direkt hinter dem Ortsausgang ihres Heimatdorfes/-stadt verscharrt.

     

    Ein gescheiterter Versuch diese Geschichte aufzuarbeiten.

  • T
    tommy

    @Schweizer

     

    Ich weiß, dass von vielen Historikern der Terror der Franco-Anhänger als systematischer als der von Seiten der Republik angesehen wird; inwiefern das zutrifft, kann ich nicht beurteilen, halte es aber auch nicht für eine unumstößliche Wahrheit. Man könnte auch zynisch sagen, dass die Sieger in einem Bürgerkrieg einfach mehr Gelegenheit haben, Rache an der anderen Seite zu nehmen.

    Wie dem auch sei, Täter aus der Zeit des Bürgerkriegs nach 70 Jahren strafrechtlich belangen zu wollen, halte ich nicht für sinnvoll; das ist ja bereits bei Tätern von NS-Verbrechen, die sich in einer ganz anderen Dimension bewegen, zu Recht umstritten (hierzu ein interessanter Artikel aus der faz: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ns-aufarbeitung-sollen-greise-tatverdaechtige-noch-vor-gericht-11642381.html). Wie ich bereits sagte, muss die spanische Gesellschaft einen anderen Weg finden, mit ihrer Vergangenheit zurecht zu kommen.

    Im übrigen - auch wenn das wie ein Ablenkungsmanöver wirken mag - finde ich die selektive Empörung der taz-Klientel schon etwas seltsam: Von Stalins NKWD-Mördern (Stichwort Katyn) ist meines Wissens nach auch nie einer juristisch belangt worden, ohne, dass es unter deutschen Linken darüber viel Aufregung gegeben hätte. Die Welt ist eben in moralischer Hinsicht nicht perfekt und historisches Unrecht oft nur in begrenztem Maße behebbar.

  • S
    Schweizer

    @tommy, "Der Putsch von 1936 ist sicherlich moralisch fragwürdig, aber daran, dass die politische Lage bis zu diesem Punkt eskalierte, ist auch die Linke nicht unschuldig."

     

    Entschuldigung, ich kann Ihnen nicht folgen und gebrauche da andere Begriffe.

    "Moralisch fragwürdig" - auf solch eine Formulierung wäre ich für die Bezeichnung eines Vergehens gekommen. Aber nicht für den mörderischen Angriff auf eine Republik und die Beseitigung derselben.

     

    Zum Terror beider Seiten: "... Er betont vielmehr die qualitativen Unterschiede zwischen dem Terror in der franquistischen und dem in der republikanischen Zone; dabei geht er auch ausführlich auf die Mechanismen der Prozeßführung, das heißt auf die 'legalisierte' Repressionsform ein. Im Lager der späteren Bürgerkriegssieger stand hiner dem Terror eine Ideologie; die Repression ging von oben aus und wurde Teil der Funktionsweise des entstehenden 'Neuen Staates', der meinte,das gegnerische 'Anti-Spanien' (auch physisch)vernichten zu müssen, um selbst bestehen zu können.Verurteilungen des Terrors, wie sie im republikanischen Lager Azana... und viele andere vortrugen, die sich gegen den Ausbruch von angestautem, gewalttätigem Haß der seit vielen Jahrzehnten unterdrückten Unterschichten wandten, hat es bei den Siegern nicht gegeben. Während im Kriegsverlauf die Republik die Kontrolle über die Staatsorgane zurückgewann und die ohne staatliche Sanktionierung begonnenen Exzesse kontrollierte, wurde im Lager der Sieger der (Staats-)Terror systematisch gegen die Besiegten angewandt." (Bernecker 2006)Die Mordrate durch die Franquisten sei dreimal höher als die der Republikaner gewesen. Das zu Ihrer "keineswegs so einseitigen Verteilung".

  • T
    tommy

    @Schweizer

    "Und bezeichnen die Forderung der Angehörigen der Ermordeten nach Aufklärung über die Morde als "kleinliche Rachefeldzüge"?"

    Wenn es nur um Aufklärung geht, soll man doch "Wahrheitskommissionen" oder ähnliche Einrichtungen schaffen, die unparteiisch (und unter Berücksichtigung ALLER Gewalttaten) die Geschehnisse rekonstruieren. Die Forderung nach juristischer Aufarbeitung (sprich Verhängung von Strafen) klingt für mich eher nach Zementierung des eigenen Opferstatus und dem Wunsch, auf diesem Weg Rache an der anderen Seite zu nehmen. Pragmatisch gesehen müsste doch eher das Ziel eine Versöhnung der zwei (oder drei) Spanien sein (sicherlich nicht unter Verdrängung der Vergangenheit, aber auch nicht unter obsessiver Fixierung auf sie). Wenn man sowas sogar in einem Land wie Ruanda mit einer noch viel schlimmeren Gewaltgeschichte versucht, wieso können Teile der spanischen Linken sich nicht dazu überwinden?

     

    "wer die demokratisch legitimierte Republik in Schutt und Asche gelegt hat?"

    Der Putsch von 1936 ist sicherlich moralisch fragwürdig, aber daran, dass die politische Lage bis zu diesem Punkt eskalierte, ist auch die Linke nicht unschuldig.

     

    "Und um dieses Verbrechen zu relativieren, muß dann der Terror der Stalinisten herhalten, (der sich überwiegend gegen die anderen republikanischen Kräfte gerichtet hat)."

    Das ist das übliche linke Argumentationsmuster: Die Opfer linker Gewalt (also der "bösen" Linken) sind immer andere Linke (also die "guten" Linken). So wie die eigentlichen Opfer Stalins Leute wie Bucharin, Trotzki etc. und nicht die Millionen hingemetzelter Bauern, Geistlicher, Bürger etc. (also alles "Reaktionäre") waren...Tut mir leid, bei aller berechtigten Kritik an der Rolle der katholischen Kirche zur Zeit Francos, aber all die von Linken getöteten Priester, Nonnen und Mönche sind nicht bloß eine Erfindung Johannes Pauls II. oder von Benedikt...

     

    "Und "hätte" ETA nicht Carrero Blanco in die Luft gejagt, dann "hätte" es weitere Jahre des Terrors durch die Faschisten gegeben."

    Na ja, Spanien in den 1960ern war zwar sicherlich repressiv und in den Fällen, in denen es noch zu Hinrichtungen kam, auch sehr grausam, aber systematischen Terror (den es mit Massenerschießungen in den frühen 1940ern gab) gab es dann nicht mehr (zugegebenermaßen im kommunistischen Ostblock dann auch nicht mehr).

  • S
    Schweizer

    "tommy", haben Sie ein Problem damit, die Verbrechen der Franquisten Verbrechen zu nennen? Und bezeichnen die Forderung der Angehörigen der Ermordeten nach Aufklärung über die Morde als "kleinliche Rachefeldzüge"? (die "Linke" fühlt sich derzeit bestimmt nicht mächtig genug)Kommen Sie noch klar? Und schon vergessen, wer die demokratisch legitimierte Republik in Schutt und Asche gelegt hat? Und um dieses Verbrechen zu relativieren, muß dann der Terror der Stalinisten herhalten, (der sich überwiegend gegen die anderen republikanischen Kräfte gerichtet hat). Und "hätte" ETA nicht Carrero Blanco in die Luft gejagt, dann "hätte" es weitere Jahre des Terrors durch die Faschisten gegeben. Und diese armseligen Typen bemühen jetzt das Recht in einer Demokratie, die sie Jahrzehnte vorher weggebombt haben, um die ihnen nach '75 leider gewährte Täteramnestie durchzusetzen.

  • T
    tommy

    An die Vorredner, die meinen Beitrag kritisiert haben: Das sind ja wirklich fundierte Argumente, die Ihr vorbringt! Passt aber natürlich gut in den heutigen Zeitgeist, in dem eine moralinsaure Argumentation mit angeblichen Menschenrechten (die, wie sie heute verstanden werden, übrigens erst eine Erfindung der letzten 30 bis 40 Jahre sind; siehe das interessante Buch "The last utopia: human rights in history" von Samuel Moyn) zur Aushebelung aller anderen Rechtsordnungen mit ihren teils jahrhundertelangen Traditionen genutzt werden (siehe etwa sogenannte "humanitäre" Interventionen - wie jetzt für Syrien gefordert -, die völkerrechtlich total illegitim sind). Dieser Moralterror ist aber das Ende pragmatischer Politik und führt zu Chaos und Willkür. Ich bleibe dabei: Man kann nicht einfach eine Übereinkunft über den Umgang mit der Vergangenheit brechen, nur weil man sich selbst nun stark genug dafür fühlt. Das Verhalten der spanischen Linken ist kleinlich, unehrenhaft und gefährdet den inneren Frieden in Spanien. Die Gewalttaten der Bürgerkriegszeit und der Franco-Diktatur (die keineswegs so einseitig verteilt waren wie das hier suggeriert wird!) sind keine Angelegenheit für Juristen, sondern für Historiker.

  • K
    Kontroverso

    Ich habe selten so einen Blödsinn gelesen. Und damit meine ich nicht den Artikel, sondern den ersten Kommentar.

  • H
    HEN

    Armes Spanien, Franco läßt schön grüßen und das nach 36 Jahren...Da wurde einer der Besten kalt gestellt.

  • A
    Annaben

    Hätte tommy geschwiegen, dann wäre er womöglich ein Philosoph geblieben. "Hat die alleinige Machtstellung aufgegeben dafür, dass die Verbrechen des Franco-Regims nicht weiter verfolgt werden." Ich glaube nicht, dass Verbrechen dieser Art überhaupt verjähren können. Eine derartige Forderung überhaupt zu stellen ist ein weiteres Verbrechen gegenüber den Hinterbliebenen der Opfer. Und dann diese Relativierungsversuche, einfach zum Kotzen. Das Rechts-linksgeschwafel unerträglich. Unerträglich deshalb, weil die Gefahren dieser Erzreaktionäre in verschiedenen Ländern Europas wieder deutlich sichtbar sind z.B. in Ungarn.

  • C
    Commie2

    @ tommy:

     

    welch einen ehrenhafter Deal, den du da beschreibst:

     

    Ich vergewaltige dich zwar deine ganze Kindheit hindurch, aber wenn ich dich laufen lassen soll, dann unterschreib mir bitte, dass du mich nicht für meine Vergewaltigungen an dir belangst.

     

    mehr noch: es wäre "Geschichtsrevisionismus", wenn du dich nicht an die abmachung hälst, und mich strafrechtlich belangst.

  • D
    Dirk

    @Commie,

     

    "Nach der Regierungsbeteiligung der Faschisten in Italien, Österreich, Estland und Ungarn..."

     

    Ich muss zugeben, manchmal beneide ich die Antifa für ihr übersichtliches Weltbild ... Was war doch die Kindheit schön...

  • SG
    Susanne G.

    Ich habe heute die Berichterstattung und Diskussion im spanischen Fernsehen (TVE) verfolgt. Dort haben Journalisten kontrovers über die Verurteilung Garzóns diskutiert. Dabei wurde schließlich unwidersprochen betont, dass Garzón wegen seiner Methoden verurteilt wurde, die das Recht beugten. Er hat nämlich die Gespräche zwischen den Angeklagten und deren Anwälten abgehört, da er davon ausging, dass die Anwälte ebenfalls korrupt seien. Diese Abhörungen hat er aber wohl, so weit ich das verstanden habe, nicht auf spezielle Personen angewandt, sondern generell für die betreffenden Angeklagten und jegliche Anwälte, die mit ihnen die Verteidigung besprechen, bezogen. Das gilt als eklatanter Verstoß gegen den Rechtsstaat, da vor Gericht einem Angeklagten die Möglichkeit zur Verteidigung in vollem Umfang gewährt werden muss. Gerade das zeichne einen Rechtsstaat vor einer Diktatur aus.

     

    Wenn dem tatsächlich so ist, schließe ich mich dieser Auffassung an. Auch ich fand das Anliegen Garzóns immer toll und ich hoffe, dass mit dieser Verurteilung kein falsches Signal an alle Diktatoren und Korrupte geht, aber ist es nicht auch eine Verteidigung des Rechtsstaats, wenn der Zweck nicht die Mittel heiligen darf?

  • C
    Commie

    Nach der Regierungsbeteiligung der Faschisten in Italien, Österreich, Estland und Ungarn ein weiterer Sieg für die Faschisten. Denn nun werden ihre Verbrecchen in Spanien möglicherweise für immer unaufklärbar sein.

  • T
    tommy

    Gehts noch? Die Rechte hat nach dem Tod Francos ihre alleinige Machtstellung in Spanien aufgegeben und den Weg zur Demokratie ermöglicht. Preis dafür war eben, dass die "Verbrechen" der Franco-Herrschaft nicht strafrechtlich verfolgt würden. Diese Vereinbarung ist einzuhalten und kann nicht einfach rückgängig gemacht werden, nur weil Linke sich jetzt mächtig genug für kleinliche Rachefeldzüge fühlen. Zumal der Bürgerkrieg alles andere als ein einfacher Kampf "Gut gegen Böse" war: Auch von der Linken wurden massive Gewaltakte begangen und hätte die Republik (spätestens ab 1938 von Stalinisten dominiert) gewonnen, hätte es sicherlich einen roten Terror in Spanien wie den im kommunistischen Osteuropa gegeben.

    Von daher: Gut so, dass Garzon - und mit ihm der unerträgliche Geschichtsrevisionismus der spanischen Linken, die sich ohne Recht als unschuldiges Opfer darstellt - endlich in die Schranken gewiesen wurde!