Kommentar Fremdenfeindlichkeit: Politik mit dem Feind
Wer sich ausgeschlossen und machtlos fühlt, ist besonders anfällig für rechtsextreme Einstellungen. Dagegen hilft in erster Linie eines: Teilhabe
R eden, reden, reden, überzeugen. So lautet für viele noch immer die richtige Strategie, um gegen fremdenfeindliche Ressentiments vorzugehen. Doch sie fruchtet nicht. Rechtsextreme Einstellungen sind heute so weit verbreitet, dass es kaum eine gesellschaftliche Mehrheit gibt, welche die aussätzigen Extremisten da drüben am Rand belehren könnte. Denn Rechtsextremismus ist nichts Randständiges, sondern mitten unter uns: in der Kirche, in der Gewerkschaft, in der Partei. Wer dagegen angehen will, muss nicht quatschen, sondern die richtigen politischen Schlüsse ziehen.
Gerade wer sich ausgeschlossen und machtlos fühlt, ist besonders anfällig für die Skepsis und den Hass gegenüber Fremden. Diese Machtlosigkeit hat zwei Facetten. Zum einen nährt sie sich aus dem Gefühl, keine Stimme im politischen Prozess zu haben. Wer sowieso nicht erhört wird, wünscht sich anstelle der halben Wahrheit lieber die Ganze: eine starke Partei, einen starken Führer.
Hinzu kommt die materielle Ausgrenzung, die viele Menschen täglich erfahren, die sie ihr Alltagsleben als perspektivlos empfinden lässt - und für die sie einen Sündenbock suchen. Beide Phänomene lassen sich mit einem Terminus fassen: mangelnde gesellschaftliche Teilhabe. Wer rechtsextreme Einstellungen bekämpfen will, muss Teilhabe ermöglichen. Hierzu eignen sich auf materieller Seite etwa Vorschläge für ein Grundeinkommen oder die Einführung von Mindestlöhnen.
Martin Kaul ist Redakteur für "Politik von Unten" bei der taz.
Daneben muss Politik aber auch endlich direktdemokratische Spielräume eröffnen, in denen die Menschen nicht nur oberflächlich beteiligt werden. Wie schwer das fällt, zeigt derzeit das Beispiel des strittigen Bahnprojekts Stuttgart 21. Beides - materielle und demokratische Teilhabe - ist eine Voraussetzung für eine plurale und differenzierte Gesellschaft, die keine populistischen Feindbilder nötig hat.
Das Drama ist nun: Diese Voraussetzungen zu schaffen, wäre Aufgabe der Politik. Diese kann von der populistischen Feindbild-Rhetorik aber auch durchaus profitierten. Solange sich die Hassreflexe zuverlässig gegen andere richten, geraten die mächtigen Politikgestalter aus dem Fokus. Dieser traurige Zirkelschluss ist der strukturelle Grund, weshalb es ein politisches Interesse an einem stets neuen Feind gibt. Und eine Sozialpolitik, die noch immer andere für ihre Defizite büßen lässt.
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