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Kommentar FluglärmKollektiv fürs gute Leben

Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul

Solange die Flugzeuge nur über den Arbeitergegenden flogen, gab es keine Debatte. Erst als die Routen die Villenbesitzer am See betrafen, änderte sich das.

D a ziehen die ganzen Vorgartenbetroffenen, die Egodemonstranten und Jammeranwohner nun also alle gemeinsam auf, um im Schulterschluss gegen Fluglärm zu demonstrieren. Was sagt uns das? Dachten nicht viele, dass da nun wieder gerade jene meckern, die selbst gerne zum Billigurlaub ins Flugzeug steigen – und sich über die Konsequenzen beklagen, wenn es im Vorgarten zu laut wird? Je nachdem, wohin man schaut, kann man zu diesem Urteil kommen.

Beispiel Berlin: Solange die Flugzeuge bislang mitten in der Hauptstadt nur über den Arbeitergegenden in den Landeanflug gingen, gab es darüber keine Debatte. Erst seit durch den neuen Flughafen außerhalb der Stadt die Villenbesitzer an den stillen Seen betroffen sind, erregen diese sich in Massen, weil der Immobilienwert sinkt.

Es ist aber zu einfach, dieses spät erwachende Ungerechtigkeitsempfinden pauschal zu disqualifizieren. Mit dem richtigen Versuch, in bundesweiten Demonstrationen die Fluglärmdebatte nicht nur ein Nachbarschaftsanliegen sein zu lassen, eröffnen die Fluglärmgegner eine Debatte, die künftig auch in anderen gesellschaftlichen Konfliktfeldern noch ansteht. Sie heißt: Wie wollen wir leben?

Bild: privat
MARTIN KAUL

ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen.

Die Utopie einer florierenden, wirtschaftsstarken Nachhaltigkeitsrepublik ist nur ein hübsches Märchen, dem es an Praxis fehlt. Große Infrastrukturprojekte – Stichwort Stromtrassen, Stichwort Windparks – sorgen schon heute für Verunsicherung und Protest an vielen Orten.

Wer künftig in Offenbach, am Müggelsee und in Freising nachts besser schlafen will, kommt nicht umhin, von sich auf andere zu schließen. Dass die Flughafeninitiativen diesen Denkschritt ernst nehmen, ist daher vielversprechend. Denn das gute Leben ist keines, das durch Partikularinteressen geprägt sein sollte. Es ist eines, das im Kollektiv erstritten werden muss.

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Martin Kaul
Reporter
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5 Kommentare

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  • RD
    Richard Detzer

    Im Kollektiv kann man für das gute Leben vor allem eines tun, es kaputt machen.

  • B
    Biermösl

    Danke Herr Kaul, dieser Kommentar war überfällig.

  • S
    Stefan

    Klassenkampf und Fluglärm? Arbeitergegenden und Villen am See. Einfacher geht es kaum.

    Das Juchtenkäfer-Schützer-Klientel bleibt völlig unberücksichtigt. Das sind doch z.B. die Leute, die in ihren etwas zu großen Zweitwagen ihre Kinder den ganzen Tag von einer Hochbegabtenförderung zur nächsten kutschen, aber die Todesstrafe für Menschen fordern, die in ihren Wohngegenden mehr als Schrittgeschwindigkeit fahren oder überhaupt fahren.

    Und solche Leute wählen vorzugsweise... richtig, grün - weil wir uns unsere Welt nur von unseren Kindern geliehen haben.

  • F
    flugverweigerer

    irgendwo finde ich es ja schon gut, dass nun auch die sogenannte bürgerliche Mitte gegen Fluglärm auf die Barrikaden geht, aber ich seh noch nicht, dass die Leute deswegen weniger fliegen. Und nun seien wir doch einmal ehrlich, die einzige Möglichkeit Fluglärm, Autobahnlärm oder auch nur diesen lästigen Lärm aus den nachbarschaftlichen Maschinenparks zu verringern ist ... eben, weniger fliegen, weniger mit dem Auto fahren und (mit Blick auf die maschinengeilen Nachbarn) weniger Heimwerkergerätschaften der Superklasse zu verwenden.

    Dem ökomäßigen reduce, reuse, recycle (reduzieren, wiederverwenden und recyclen) kann man einfach auch noch ein use less (überhaupt weniger benutzen) und eigenständig mobil sein - vielleicht zu Fuß, mit dem Rad oder dem Solarmobil hinzufügen.

    Diese Lebensweise haben wir aber schon zu Startbahn West-Zeiten vertreten und da wurde auch nichts draus. Und es gab damals schon gute Ansätze. Ich sehe es inzwischen skeptisch und pessimistisch.

    P.S. bin übrigens noch nie geflogen - soll auch gehen

  • FE
    Frau Edith Müller

    Oh, wenn erstmal Asylbewerberheime in den Rotweingürtel kommen oder freie Flächen mit sozialem Wohnungsbau versehen werden, was dann?