Kommentar Flüchtlinge: Europa braucht Einwanderer
Pro Asyl und amnesty international fordern, auf See aufgenommene Flüchtlinge nicht in den nächsten Hafen zu bringen, sondern nach Europa. So humanitär der Vorschlag aussieht - er ist es nicht.
A usgerechnet am Tag des Flüchtlings haben Pro Asyl und amnesty international einen verzwickten Vorschlag gemacht. Die europäische Grenztruppe Frontex müsste auf hoher See aufgenommene Flüchtlinge nicht in den nächstgelegenen Hafen bringen, sondern nach Europa, egal wie lange die Fahrt dauert, fordern die Menschenrechtsorganisationen in einem Rechtsgutachten. Nur so sei festzustellen, ob unter den Bootsflüchtlingen Menschen seien, die ein Recht auf Asyl haben. Und nur so sei ihre Sicherheit zu gewährleisten, denn die Länder, von denen die Flüchtlingsboote ablegen, könnten diese nicht erbringen.
In einem liegt das Gutachten richtig: Die gängige Praxis schützt die Rechte politisch, religiös oder rassistisch Verfolgter nicht. Die Zahl der Asylbewerber ist in Europa drastisch zurückgegangen, nicht etwa mangels Verfolgter, sondern dank der Abschiebepolitik bereits auf dem Fluchtweg selbst.
Doch so humanitär der Vorschlag von amnesty und Pro Asyl aussieht - er ist es nicht. Denn eine solche Praxis würde die Schleppermafia nur anstacheln, immer neue Boote loszuschicken. Sie würden dann nicht mehr Kurs auf die Kanarischen Inseln nehmen, sondern auf die nächstgelegenen Frontex-Boote. Deren Einsatz würde damit endgültig ad absurdum geführt werden. Die Folge wäre, dass Flüchtlinge erst in den Hoheitsgewässern Europas abgefangen würden. Wer dort nicht ankommt, wäre zwar eine tragische Ziffer in den Statistiken, aber kein Problem für Frontex. Lösungen sind deshalb weder der bisherige Grenzeinsatz noch die Forderung von Pro Asyl und amnesty international.
Die EU braucht eine Einwanderungspolitik, die Europas Bedarf an Immigranten eingesteht. Außerdem müssen die Menschen in ihren Heimatländern Perspektiven erhalten. Die europäische Wirtschaftspolitik ist mitverantwortlich für den Ruin der westafrikanischen Landwirtschaft und Fischerei. Und es ist die Europäische Union, die repressive Regimes unterstützt. Wer die Rücknahme von Flüchtlingen akzeptiert, ist in Europa gerne gesehen, egal wie er regiert. Diese Kooperation wird zunehmen, wenn Frontex immer mehr Flüchtlinge auf die Kanaren bringen muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind