Kommentar Finanzkrise: Neue Regeln braucht der Markt
Bekundungen aus der Politik, die Gefahr einer Bankenkrise erkannt zu haben, gibt es schon lange. Doch in Europa muten die Bemühungen um eine Reform der Finanzaufsicht provinziell an.
Tarik Ahmia ist Redakteur im taz-Ressort Ökologie & Wirtschaft
Die Hoffnung stirbt zuletzt: Doch vom Glauben, bei der Hypotheken- und Finanzkrise handle es sich nur um einen kleinen Husten der globalen Finanzwirtschaft, müssen sich jetzt auch die größten Optimisten verabschieden. Denn was Feuer war, ist mittlerweile Flächenbrand. Es fing mit einer Hypothekenkrise an, setzte sich mit der Bankenkrise fort und hat jetzt die Versicherungswirtschaft erwischt. Mit der American International Group (AIG) kämpft einer der größten Versicherungskonzerne der Welt ums Überleben. Der Konzern konnte dem Geschäft mit Ramschhypotheken nicht widerstehen und bot dafür Versicherungen gegen Zahlungsausfälle an.
Doch wie bei den Banken kennt die Gier auch im Kreditgeschäft offenbar keine Grenzen: Auf 62.000 Milliarden US-Dollar ist der Markt für sogenannte Kreditderivate in den letzten Jahren gewachsen. Nun droht er ernsthaft ins Wanken zu geraten. Die Zentralbanken der Welt sind zu Recht in höchster Alarmbereitschaft. Aber auch wenn die eingeleitete Rettungsaktion unter Regie der US-Notenbank anscheinend gelingt, wirft das gewaltige Volumen dieses Marktes die Frage auf: Wie kann ein Multibillionen-Dollar-Markt für Versicherungen jahrelang unkontrolliert global wuchern, während auf nationaler Ebene jede Versicherungsleistung einer strengen Aufsicht untersteht?
Bekundungen aus der Politik, die Dimension der Gefahr erkannt zu haben, gibt es schon lange. Doch getan hat sich seit über einem Jahr wenig. Gerade in Europa muten die Bemühungen um eine Reform der Finanzaufsicht provinziell an: Immer wieder verhandeln die 27 Finanzminister der EU über grenzübergreifende Überwachung der Finanzwirtschaft und schnelle Interventionsmöglichkeiten bei akuten Krisen. Konkrete Beschlüsse sind bislang ausgeblieben, zu unterschiedlich sind die Interessen der einzelnen EU-Staaten. Nicht einmal im Umgang mit den zweifelhaften Urteilen der Ratingagenturen zur Bonität von Firmen und Staaten gibt es Einigkeit. Dabei bleibt auch den EU-Politikern nicht mehr viel Zeit. Der Flächenbrand auf den Finanzmärkten wird sich weiter ausbreiten. Eindämmen lässt er sich nur, wenn das gesamte System der Finanzaufsicht auf den Prüfstand kommt.
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