Kommentar Finanzkrise trifft Türkei: Der Kredit ist aufgebraucht
Die Finanzkrise bleibt auch in der Türkei nicht ohne Folgen: Die Kulturszene ist davon besonders betroffen, denn sie hängt am Tropf von Sponsoren.
D as hatten sich die Planer so schön vorgestellt: auf der Buchmesse wollte sich die Türkei dieser Tage als Ehrengast mit einem großen Auftritt endlich in die Liga der Länder, die globale Beachtung finden, katapultieren. Und nun redet die ganze Welt von der Finanzkrise - und kaum noch jemand von Kultur. Und wenn, dann nur noch in dem Zusammenhang, das Mäzene sich zurückziehen, das Kultur-Sponsoring wegbricht und Auktionshäuser wie Christies oder Sothebys bereits darüber jammern, dass sie auf ihren millionenteuren Exponaten sitzen bleiben.
Jürgen Gottschlich ist taz-Korrespondent in Istanbul. Er ist einer der Mitbegründer dieser Zeitung, später war er Inlandsredakteur und in den Neunzigerjahren Chefredakteur. Er schreibt regelmäßig für die Debattenseite der taz.
Der Kunstmarkt bricht ein - und auch der Buchmarkt wird von der weltweiten Finanzkrise nicht unberührt bleiben.
Noch dürften türkische Verlage die Auswirkungen davon nur mittelbar zu spüren bekommen. Bislang konnten sie beim Rechte-Poker für potenzielle Bestseller sowieso noch nicht recht mitspekulieren. Doch die Krise geht auch an der Türkei nicht vorbei. Auch wenn Ministerpräsident Tayyip Erdogan noch immer fast täglich behauptet, die Finanzkrise würde die türkische Wirtschaft nicht in Mitleidenschaft ziehen, weil die türkischen Banken bei den globalen Finanzjongleuren keine Rolle spielten und deshalb nun auch keine Milliardenabschreibungen vornehmen müssen: die Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Ein guter Teil des Wirtschaftswunders am Bosporus ging in den letzten Jahren darauf zurück, dass internationale Anleger seit der Annäherung der Türkei an die EU überhaupt erstmals in nennenswertem Umfang in dem Land investiert haben. Bei Wachstumsraten zwischen 7 und 9 Prozent in den letzten fünf Jahren schossen die Kurse an der türkischen Börse enorm in die Höhe, die großen türkischen Holdings schwammen im Geld. Doch seit die Krise in den USA im Frühjahr begann, haben internationale Anleger ihr "hot money" abgezogen - die Börse ist in Folge von 45.000 Punkten auf 28.000 Zähler abgerutscht. Entsprechend beunruhigt zeigen sich die Konzernbosse. Ein besseres staatliches Krisenmanagement fordert der Unternehmerverband TÜSIAD, und die Konzernlenker meinen, die Türkei solle bald eine neues Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) aushandeln.
Ihre hohen Wachstumsraten verdankte die Türkei in den letzten Jahren der Baubranche, der Autoindustrie und dem Tourismus. Alle drei Bereiche schwächeln nun, und entsprechend wird das Wachstum in diesem Jahr auf maximal drei Prozent fallen. Nur die Inflationsrate steigt noch, die längst wieder zweistellige Margen erreicht. Die islamisch grundierte AKP-Regierung hat in den letzten Jahren, in enger Kooperation mit dem IWF, eine klassische neoliberale Wirtschaftspolitik verfolgt, also: Deregulierung, Privatisierung und Öffnung des Landes für den weltweiten Markt. Das hat eine wirtschaftliche Dynamik in Gang gesetzt, von der vor allem das obere Drittel der Gesellschaft profitiert hat. Im Dienstleistungssektor, bei den Medien, in Unterhaltungsindustrie und Werbung entstanden gut bezahlte Jobs.
Das Problem ist, wie andernorts ja auch, dass der Aufschwung an einem großen Teil der Bevölkerung vorbeiging. Die breite Masse hat deshalb jetzt schlicht kein Geld, um die Konjunktur durch Binnenkonsum zu unterstützen. Im Gegenteil, viele sind über Kreditkartenkäufe bereits hoch verschuldet. In Straßeninterviews gaben viele Befragte an, selbst bei Lebensmitteln bereits stark sparen zu müssen und sich teilweise nur noch ein- oder zweimal im Monat Fleisch leisten zu können.
Für das Kulturleben der Türkei verheißt diese Entwicklung nichts Gutes, denn die Kulturförderung ist in der Türkei weitgehend eine Privatangelegenheit. Die großen neuen Museen, die in Istanbul in den letzten Jahren entstanden sind, sind Denkmäler, die sich die reichsten Familien des Landes gesetzt haben. Keine kulturelle Großveranstaltung kommt ohne Sponsoring aus, selbst wichtige Verlage gehören Banken oder großen Medienkonzernen. Auch große Ausstellungen oder das jährliche Jazzfestival in Istanbul werden von den Kulturabteilungen der großen Banken ausgerichtet. Das alles bildet die materielle Grundlage für das enorm kreative und lebendige Kulturleben - doch genau diese materiellen Ressourcen sind nun gefährdet. Denn der Staat hat schon in der Vergangenheit wenig für die Kultur getan. Nun wird er dies erst recht nicht tun.
Das liegt nicht nur an einem Mangel an Geld, sondern auch an der Borniertheit der meisten Mandatsträger. Im Kulturbereich zeigt sich die regierende AKP durch die Bank reaktionär, provinziell oder im besten Fall desinteressiert. Als der international bekannte türkische Pianist Fazil Sey sich über diese Ignoranz beklagte, antwortete ihm ein AKP-Minister, das Volk interessiere sich eben nicht für klassische Musik. Ein Eklat im Vorfeld der Buchmesse war dann auch, dass die AKP die Aufführung einer von Fazil Sey komponierten Vertonung von Nazim-Hikmet-Gedichten vom Programm streichen ließ, was dazu führte, dass mehrere Autoren ihre Teilnahme in Frankfurt absagten. Bei allem Bestreben, sich in Frankfurt möglichst weltoffen zu präsentieren, ging ihnen der kommunistische Dichter Nazim Hikmet dann offenbar doch zu weit.
Wo internationale Aufmerksamkeit erst gar nicht vorhanden ist, kann es sowieso schon mal vorkommen, dass örtliche AKP-Honoratioren Autoren oder Theaterleuten den Saft abdrehen lassen, wenn diese sich allzu kritisch gegenüber der Regierung äußern. Erdogan selbst versteht bekanntlich auch keinen Spaß, sondern ist vielmehr berüchtigt dafür, dass er reihenweise Karikaturisten verklagen lässt. Wenn nun die Hoffnungen auf einen materiellen Aufschwung für viele AKP-Anhänger schwinden, eben weil der von der Partei propagierte "Selfmademan" zumindest vorübergehend nur noch wenig Chancen hat, bleibt nur, die eigenen Wähler durch einen verschärften Kulturkampf, also Kopftuch und Alkoholverbote, an sich zu binden.
Für die türkische Kulturlandschaft sieht es deshalb in der näheren Zukunft nicht so rosig aus. Wenn der Geldstrom aus privaten Kulturstiftungen versiegt, wird vieles von dem nicht mehr möglich sein, wodurch sich vor allem die Istanbuler Kulturszene in den letzten Jahren ausgezeichnet und was sie international bekannt gemacht hat. Innovative Designer brauchen Kunden und Künstler Gelegenheiten, um ihre Werke auszustellen. Auch der Buchmarkt kommt ohne Sponsoring nicht aus. Vor allem Übersetzungen türkischer Bücher ins Deutsche sind in den letzten Jahren gefördert worden, was viel dazu beigetragen hat, die türkische Literatur einem größeren Publikum bekannt zu machen.
Für die türkische Wirtschaft und eben auch einen Teil des kulturellen Lebens gilt jetzt wie andernorts auch das Prinzip Hoffnung: Es möge doch nicht allzu schlimm kommen. Es wäre jedenfalls sehr schade, wenn der hoffnungsvolle Beginn einer kreativen und spannenden Ost-West-Symbiose in Musik und Literatur nun gleich wieder stecken bleiben würde, weil der Großkapitalismus sich verspekuliert hat.
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