Kommentar FDP-Wahlprogramm: Nur ein Ohrwurm, kein Album
Statt Rezepte für den Umgang mit der Krise vorzulegen, beschränkt sich die FDP darauf, ihren marktfreundlichen Kurs zu beschwören. Das wird nicht bis zur Wahl reichen.
Die FDP gleicht derzeit einer One-Hit-Wonder-Band. Ihr einziges Lied "Wir sind so anders als alle anderen" läuft seit Beginn der Finanzkrise. Die Botschaft der Blaugelben, sie seien die "einzige verbliebene Kraft der Mitte", war der Hit des Winters. Mittlerweile kennt das Publikum jede Zeile. Beispielsweise die, in der sich die Blaugelben als Verfechter der "sozialen Marktwirtschaft" besingen, während alle anderen Parteien die "sozialwirtschaftliche Planwirtschaft" einführen wollen. Nun aber schwindet die Magie dieses Popsongs. Das Repertoire der FDP ist bereits ausgeschöpft.
Dies offenbart das Wahlprogramm, das die Partei am Dienstag vorgestellt hat. Wie seit Jahrzehnten geht es darin um niedrigere Steuern und höhere Freibeträge. Zwar ist auf hinteren Seiten vom Nein zu Online-Durchsuchungen die Rede und von der Bündelung sozialer Leistungen in einem "Bürgergeld". Doch die FDP wirbt nicht damit. Selbst den umstrittenen Ausstieg aus dem Atomausstieg verficht die Partei entschiedener. Kurzum: Die Partei hofft, die Erfolgswelle ihres Winterhits möge sie noch bis zur Wahl tragen. Doch das wird aller Voraussicht nach nicht klappen.
Ihr Ohrwurm von der "sozialistischen Planwirtschaft" der Regierung bei der HRE-Verstaatlichung wirkt auf Dauer nur bei Stammwählern. Denn zwei Monate nach ihrem Wahlerfolg in Hessen stellen Bürger und Medien verstärkt die Frage: Was würde die FDP in dieser Krise besser machen? Darauf bleibt die Partei eine Antwort schuldig.
Stattdessen erklärt ihr Generalsekretär allen Ernstes, bei der möglichen Verstaatlichung der Hypo Real Estate vertrete die Partei die gleichen Ansichten wie der CSU-Wirtschaftsminister. Der Wirtschaftspartei FDP fehlt der ökonomische Sachverstand. Wer soll ihn auch aufbieten? Guido Westerwelle? Rainer Brüderle?
Westerwelles Forderung vom Wochenende, die Bundestagswahl auf Anfang Juni vorzuziehen, wirkt daher auch wie eine Flucht nach vorn. Denn je länger seine Partei ihren einzigen Hit dudeln muss, desto gelangweilter wird das Publikum werden. MATTHIAS LOHRE
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